„Der Staat hat kein Interesse an der Gesundheit seiner Bürger“

Carolina de Magalhães leitet in Guatemala die Kleinkindpastoral und in einer Diözese die Gesundheitspastoral. Auf Einladung von Adveniat war sie zu Gast im Ruhrbistum.
„Der Staat hat kein Interesse an der Gesundheit seiner Bürger“

Mit der Kleinkindpa- soral unterstützt Ca- rolina de Magalhães Familien. Foto: Adveniat/Achim Pohl

Essen – Chronische Unterernährung ist in Guatemala ein großes Problem. „Fast die Hälfte der Kinder ist davon betroffen“, sagt Carolina de Magalhães. Die guatemaltekische Regierung habe versucht, das Problem mit Nahrungslieferungen zu beheben. „Das ist der falsche Ansatz“, erklärt sie. „Wichtig ist, die Schwangeren zu begleiten – vor, während und bis zu zwei Jahre nach der Geburt.“ Wo der Staat versagt, springt die Kirche ein: Carolina bildet für die Bischofskonferenz in Guatemala mit der Kleinkindpastoral und für eine Diözese im Osten des Landes mit der Gesundheits- pastoral ehrenamtliche Begleiter aus, die ihr Wissen in die Dörfer tragen. 

Carolina de Magalhães wird 1961 im brasilianischen Guaratinguetá geboren. Ihr Vater ist Deutscher, die Mutter Brasilianerin. Beide lernen sich beim Studium in Frankreich kennen. Carolina wächst in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. 

Schon früh entdeckt sie ihre soziale Ader. „Wir haben damals am Stadtrand von Guaratinguetá gelebt“, erinnert sie sich. Die Armenvier- tel der Stadt, die Favelas, liegen nicht weit von ihrem Zu- hause entfernt. „Mit einer Jugendgruppe unserer Pfarrei bin ich die Favelas gegangen und habe dort die Familien besucht, ihnen geholfen und mit den Kindern gespielt.“ 

Nach dem Abitur studiert sie in München Ernährungswissenschaften. Ihr Ziel: in die Entwicklungsarbeit zu gehen. „Ich habe gehofft, mit meinen Kenntnissen die Situation der Menschen verbessern sie können.“ 

Nach dem Studium möchte sie 1989 eigentlich nach Brasilien zurückkehren. „Meine Diplom-Arbeit habe ich im Nordosten des Landes gemacht, einer sehr trockenen Region“, erzählt sie. „Je- doch wurde mein Studium dort nicht anerkannt.“ Sie be- wirbt sich bei der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe in Köln, heute AGIAMONDO e. V., und wird nach Guatemala entsandt – zunächst für zwei Jahre. „In einem kleinen indigenen Dorf habe ich die Bewohner im Gesundheitsbereich ausgebildet und mitgeholfen, eine kleine Farm und eine kleine Bäckerei aufzubauen“, berichtet sie. „So konnten sie ihre Selbstversorgung verbessern und Lebensmittel verkaufen.“

Bis auf einen eineinhalb- jährigen Aufenthalt in Deutschland bleibt sie dem lateinamerikanischen Land treu. Heute leitet Carolina de Magalhães für die Bischofskonferenz in Guatemala die Kleinkindpastoral und in der Diözese Suchitepéquez-Retalhuleu im Osten des Lan- des die Gesundheitspastoral.

„Seitdem ich in Guatemala tätig bin, ist die Grundschulbildung etwas besser geworden“, resümiert sie. „Die Infrastruktur hat sich ebenfalls leicht verbessert, Dörfer sind heute zugänglicher als früher – doch insgesamt gibt es landesweit leider kaum Fort- schritte.“ An der Gesundheit seiner Bürger zeige der Staat kein Interesse. „Das ist traurig zu sehen“, sagt Carolina. „Bei der Bildung sieht es nicht anders aus.“ 

„Landesweit gibt es kaum Fortschritte“

Hinzukomme eine hohe Arbeitslosigkeit. „Wenn beispielsweise jemand studiert, hat er in Guatemala keine Chance auf einen Job.“ Das führe dazu, dass die Menschen ihr Heil vermehrt in der Hauptstadt Guatemala Stadt suchten. Oder sie wanderten aus, zumeist nach Nordamerika. „Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder in der Hoffnung vor, später nachkommen zu können“, sagt Carolina de Magalhães. „Das betrifft schon kleine Kinder.“ Guatemala sei eigentlich ein reiches Land. „Doch der Reichtum ist sehr ungleich verteilt“, berichtet sie. „Während es einige wenige wohlhabende Familien gibt, lebt der Großteil der Bevölkerung in Armut.“ 

Ein weiteres Problem sei die Korruption. „Wir als Kirche sind damit hauptsächlich im Gesundheitswesen konfrontiert“, erzählt sie. „Obwohl Gelder da sind, mangelt es zum Beispiel an Impfstoffen.“ Um die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern, setzt die Kirche auf Präventionsarbeit – zum Beispiel mit der Gesundheitspastorale: „Aus den Dörfern wählen wir Vertreter aus, die wir in verschiedenen Themenbereichen ausbilden“, erzählt Carolina de Magalhães. „In Naturmedizin, Ernährung, HIV und Aids so- wie Umwelt und ökologischem Anbau.“ Den Vertretern wird nicht nur theoretisches sondern auch praktisches Wissen vermittelt. „Zum Beispiel lernen sie, wie sie verfügbare Lebensmittel zubereiten können – damit wollen wir auch erreichen, dass sie lernen, die Ressourcen wertzuschätzen.“ 

Im Hochland Guatemalas würden viele Familien Ackerbau auf kleinen Parzellen betreiben. „Die Menschen haben so gut wie keine Chance, an größere, produktivere Flächen zu kommen.“ In ihrer Diözese würden Großgrundbesitzer das Gros des Landes unter sich aufteilen. „Für die Dörfer bleibt nur wenig, um Nahrung an- zubauen.“ Der Einsatz von Pestiziden zerstöre außer- dem die Naturpflanzen. 

Doch damit nicht genug: „Die meisten Großgrundbesitzer bauen Rohrzucker an, wofür weite Teile des Regenwaldes abgeholzt werden.“ Um den Boden nicht gänzlich der Erosion Preis zu geben, forstet die Kirche den Wald wieder auf. „Etwa zehn Hektar konnten wir bisher neu pflanzen.“ Ferner begleiten Carolina und ihre Mitarbeiter die Krankenbesuche der Kirche. „Wir schauen da- bei, wie wir Lebensverhältnisse in den Familien verbessern können.“ 

Auf der anderen Seite übernehme die Kirche eine Art Kontrollfunktion. „Einige Pfarreien achten darauf, dass in den staatlichen Gesundheitszentren zum Beispiel genügend Medikamente vorhanden sind.“ Familien stehen im Fokus der Kleinkindpastorale. „Auch hier bilden wir ehren- amtliche Begleiter aus, die ihr Wissen in den Dörfern weitergeben.“ Jeder Begleiter betreue drei bis sechs Familien, die er monatlich be- suche. „Von der Schwangerschaft bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes erhalten die Familien verschiedene Informationen“, erklärt Carolina de Magalhães, „zum Beispiel zur Gesundheit, zur Erziehung und zu rechtlichen Fragen“. 

All diese Aufgaben würde der Staat nicht übernehmen, sodass die Kirche einspringe. „Wir achten allerdings da- rauf, dass sich die Regierung nicht auf dem Engagement der Kirche ausruht, sondern seiner Verantwortung nach- kommt.“ Lediglich 40 Prozent der Bevölkerung Guatemalas habe Zugang zu öffentlichen Gesundheitseinrichtungen. „Zwar gibt es in jedem Bundesland ein Krankenhaus, je- doch sind die Länder teilweise sehr groß.“ Hinzukomme, dass viele Dörfer sehr abgelegen seien. „Deswegen spielen Hebammen eine große Rolle – über 60 Prozent der Kinder kommen so zur Welt.“ 

Beispielsweise seien vier Dörfer in ihrer Region nicht mit dem Auto erreichbar. „Um dort hinzukommen, muss man zunächst einen breiten Fluss über eine Hängebrücke überqueren und dann noch drei oder vier Stunden lang einen Berg er klimmen“, erzählt sie. „Wenn dort keine Hebamme vor Ort ist, müssen die Dorfbewohner eine Schwangere in einer selbst gebauten Trage ins Krankenhaus bringen.“ Mittlerweile habe der Staat den Stellenwert der Geburtshelferinnen erkannt und bilde diese aus. „Jedoch haben nicht alle Hebammen Zugang zu der Ausbildung“, räumt Carolina ein. „Viele können nicht lesen und schreiben – sie haben ihr Wissen vererbt bekommen.“ 

Begleiter in knapp über 100 Dörfern ausgebildet

Auch wenn landesweit noch vieles im Argen läge, sieht Carolina de Magalhães Verbesserungen im Detail. „So- wohl in der Kleinkind- als auch in der Gesundheitspastorale haben wir Begleiter in knapp über 100 Dörfer aus- gebildet“, sagt sie. „Und die- se treiben den Fortschritt vor Ort voran.“ In den Gemein- den hätten sich die Ernährung, der Zugang zu Lebensmitteln und deren Produktion sowie die Versorgung der Kinder verbessert. „Mittler- weile widmen sich auch die Väter dem Nachwuchs – früher war das ein Mutter-Kind- Programm.“ Einige staatliche Gesundheitsstellen würden heute ebenfalls besser funktionieren. Langsam aber stetig komme die Arbeit voran. „Wir orientieren uns am Tempo der Menschen“, sagt Carolina. „Gingen wir zu schnell voran, würden die Menschen nicht mitkommen und die Entwicklungen wären nicht nachhaltig.“Doch sie bekomme mehr, als sie gebe: „Wenn ich sehe, dass Menschen, die ums Überleben kämpfen, trotzdem Zeit finden, sich um die Gemeinschaft zu kümmern …“ Sie lächelt. 

André Przybyl 

Adveniat unterstützt Projekte 

Carolina de Magalhães war auf Einladung des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, das die Kleinkind- und die Gesundheitspastoral unter- stützt, zu Gast im Bistum Essen. Neben Bolivien gehört Guatemala zu den beiden Schwerpunktländern der diesjährigen Adveniat Weihnachtsaktion. Unter dem Motto „Gesundsein fördern“ ruft die bundesweite Aktion der katholischen Kirche die Menschen in Deutschland zur Solidarität mit den Armen auf. Die Weihnachtskollekte am 24. und 25. Dezember in allen katholischen Kirchen Deutschlands ist für Adveniat und die Hilfe für die Menschen in Lateinamerika und der Karibik bestimmt. Spenden können auch überwiesen werden auf das Konto bei der Bank im Bistum Essen, IBAN: DE03 3606 0295 0000 0173 45, oder unter www.adveniat.de.