Bistum im „evolutionären und dynamischen Prozess zur Neukonzeption“

Der Pfarrentwicklungsprozess und Beschlüsse des „Synodalen Weges“ waren Themen bei der jüngsten Vollversammlung des Diözesanrates Essen.
Bistum im „evolutionären und dynamischen Prozess zur Neukonzeption“

Dr. Andrea Qualbrink machte die Beschlüsse des „Synodalen Weges“ zum Thema. –Foto: Christian Schnaubelt

Essen – Die Entwicklung der Pfarreien im Bistum Essen angesichts schwindender Mitgliederzahlen und immer weniger Priester stand auf der Tagesordnung der jüngsten Vollversammlung des Essener Diözesanrates. Darüber hinaus informierte sich das höchste Laiengremium der Diözese über Beschlüsse des „Synodalen Weges“.

Ludger Schollas vom Bistum berichtete über eine sich abzeichnende Pfarr-Neuordnung hin zu rund einem Dutzend Kirchen- oder Pfarrgemeinden auf Stadt- oder Kreisebene. Dabei besteht in Oberhausen der größte Handlungsbedarf: Hier werden zurzeit zwei Pfarreien von Pfarrer André Müller geführt. Zugleich ist er Seelsorger und Vorsitzender des Kirchenvorstands in einer dritten stadtweiten Pfarrei, in St. Lamberti in Gladbeck. 2024 wird voraussichtlich im Oberhausen Süden der Pfarrer aus seinem Dienst ausscheiden.

Schollas, Verantwortlicher für die Pastoralentwicklung in der Essener Diözesanverwaltung, verwies darauf, dass bistumsweit noch Pfarreien nach dem laufenden Pfarrentwicklungsprozess (PEP) Bestand haben. „Wir befinden uns danach aber in einem evolutionären und dynamischen Prozess zur Neukonzeption der Struktur. Zurzeit können wir noch von einer flächendeckenden Pfarrorganisation zwischen Duisburg und Meinerzhagen ausgehen.“ Man schaffe es aber – trotz der Pfarrleitungsteams mit Laien – aktuell nicht mehr, alle offenen Stellen zu besetzen. Der Beratungsprozess zur „Evolution“ sei gestartet, sagte Schollas. Ziel des Bistums sei es, trotz erkennbarer Verunsicherung und Kritik die neue Ordnungsstruktur von Stadtkirchen und Pfarreien etwa in den Städten Duisburg, Oberhausen oder Bochum und für die Kreiskirchen Hattingen/ Schwelm sowie im Märkischen Sauerland breit zu diskutieren und bei Bedarf schnell anzugehen.  

Bistum muss „Bezugsrahmen“ bereithalten

Von den vier Oberhausener Großpfarreien in Sterkrade, City, Osterfeld und Süd werden 2024 nur noch die Citypfarrei (aktuell mit Pfarrer Vincent Graw) mit einem Pfarrer besetzt sein. Schollas zufolge muss das Bistum überall für Veränderungen dieser Art einen „Bezugsrahmen“ bereithalten. Der müsse gemeinsam auf allen Ebenen entwickelt werden, um „Katholische Kirche in Bottrop“, „Katholische Kirche in Mülheim“, dazu Essen, Bochum oder Altena-Lüdenscheid bei Bedarf zeitnah neu aufstellen zu können. Ziel sei eine leistungsfähige Struktur, in der pastorale Angebote weiter erfüllt sowie „Verwaltung und Geldflüsse dafür ein subsidiäres, dienendes Gewicht haben“. 

Zurzeit sind laut Schollas rund 440 Menschen in den Pfarreien im aktiven Dienst, davon 135 Priester. 2025 werden es 398 (105 Priester) sein. Im Jahr 2040 geht das Bistum Essen von 243 (davon 27 Priestern) Pfarrei-Mitarbeitenden in der Pastoral aus. Pfarrer André Müller (Gladbeck, Oberhausen-Osterfeld sowie -Sterkrade) hatte zuletzt darauf hingewiesen, dass in einem Jahr bistumsweit 50 solcher Mitarbeiter aus dem Dienst schieden und zugleich fünf neu eingestellt werden konnten.

An den Plänen gab es deutliche Kritik. „Es ist kaum denkbar für die Kreiskirche in Witten, dem Ennepe-Ruhr-Kreis und Schwelm, das hier einer einzigen Pfarrei die Zukunft gehört“, erklärte Benno Jacobi, Pfarrgemeindratsvorsitzender von St. Peter und Paul in Hattingen, Sprockhövel und Schwelm. „Als Partner haben wir es mit zahlreichen Kommunen und allein drei evangelischen Kirchenkreisen zu tun.“ Einheitliches Auftreten der Katholikinnen und Katholiken dürfe in dieser Situation bei nur einer Pfarrei nicht zum „closed shop“ – zum „geschlossenen Geschäft“ – führen, warnte er.

Ähnlich sah es Stefan Kemper aus Altena für das Märkische Sauerland: „Wir haben schon jetzt nur 20 Prozent Katholiken im weiten Diaspora-Gebiet und müssen flexibler Ansprechpartner für über zehn Kommunen sein.“ Kirche müsse sich auch in schwieriger Situation weiter selbstbewusst und effektiv in der Öffentlichkeit zu Wort melden. „Diese Rückmeldungen sind das Futter, mit dem wir gemeinsam weiterarbeiten und sensibel Neues gemeinsam auf die Beine stellen können“, kommentierte Ludger Schollas.

Wichtige Perspektive, die der „Synodale Weg“ eröffnet hat

Bevor sich der Diözesanrat dem Pfarrentwicklungsprozess widmete, informierte Dr. Andrea Qualbrink, Leiterin Pastoralentwicklung im Essener Generalvikariat, die Vollversammlung über den „Synodalen Weg“. „Eine synodale Kirche baut auf die Gläubigen und auf die Bischöfe, auf ein Miteinander und kein Gegeneinander. Dieses Verständnis ist für mich als Bischof leitend“, zitierte Qualbrink zu Beginn Bischof Franz-Josef Overbeck. Sie verwies auf feststehende Beschlüsse des bundesweiten Reformprojekts – aber auch auf „wegweisende wertvolle Texte“. Von Laien und Bischöfen gemeinsam erarbeitet, seien sie eine wichtige Perspektive, die der „Synodale Weg“ eröffnet habe.

Inhaltlich verwies Qualbrink auf beschlossene Grundtexte der vier Foren. Zu Gewaltenteilung und Macht etwa stellt der „Synodale Weg“ eine einseitige Bindung von Macht in der Kirche an die Weihe fest. „Es haben sich eine Theologie der Kirche, eine Spiritualität des Gehorsams und eine Praxis des Amtes entwickelt, die diese Macht … für sakrosankt erklärt“, zitierte Qualbrink. So werde „von Kritik abgeschirmt, von Kontrolle abgekoppelt und von Teilung abgeschnitten“. 

Umgekehrt würden „Berufung und Charismen der Gläubigen in der katholischen Kirche nicht ihrer Bedeutung im Volk Gottes gemäß berücksichtigt“. Ebenso nicht ihre Würde, ihre Rechte, Kompetenzen und Verantwortung. „Der Zugang zu kirchlichen Diensten und Ämtern wird restriktiv geregelt, ohne dass die Aufgabe der Evangelisierung als entscheidendes Kriterium hinreichend zur Geltung kommt.“ Auch würden die jeweiligen „Dienste, Ämter, Rollen und Zuständigkeiten nicht genügend an die Charismen und Qualifikationen der Gläubigen gebunden“. 

Für das Ruhrbistum setze der Bischof in dieser Frage sehr zeitnah auf ein Gremium für mehr Beteiligung und für seine Begleitung. Das zurzeit vorbereitete Gremium werde „wesentliche Prozesse kritisch begleiten und insgesamt die Diskussions- und Partizipationsstruktur weiter fördern“. Im Frühjahr 2024 soll es seine Arbeit aufnehmen.

Leistungen anerkennen und Versäumnisse benennen

Deutlich formuliert der Text des „Forums zu Leben, Sexualität und Partnerschaft“ Analysen und Zielsetzungen – beschlossen mit einer Zweidrittel-Mehrheit der Bischöfe und Laien: „Kirchliche Begleitung [ist] insbesondere in Situationen der Bedrängnis gefordert.“ Hier gelte es, Leistungen anzuerkennen und ehrlich Versäumnisse der Kirche zu benennen: „Im falsch verstandenen Bemühen, die kirchliche Lehre hochzuhalten, kam es … immer wieder zu unbarmherzigen Haltungen, die Leid über Menschen gebracht haben, insbesondere über ledige Mütter und außerehelich geborene Kinder“, zitierte Qualbrink weiter; dazu „über Menschen in vorehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, über homosexuell orientierte Menschen und über Geschiedene und Wiederverheiratete“.

Weiter zitierte Qualbrink aus dem Grundtext „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“: „Geschlechtergerechtigkeit als Grundlage aller künftigen Handlungsweisen in der Römisch-Katholischen Kirche einzufordern, ist der Leitgedanke der folgenden Ausführungen … : Alle Getauften und Gefirmten erfahren die allen geschuldete Anerkennung und Wertschätzung ihrer Charismen und ihrer geistlichen Berufung.“ Sie dürfe nicht abhängig gemacht werden von ihrer geschlechtlichen Identität. Die Getauften „werden entsprechend ihrer Eignung, ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen in Diensten und Ämtern tätig, die der Verkündigung des Evangeliums in unserer Zeit dienen. Die institutionelle, amtliche Kirchengestalt ist … so zu formen, dass sie der Botschaft Gottes einen weiten Raum eröffnet, in den alle Menschen gerne eintreten möchten“.

Ulrich Wilmes