Eine neue Untersuchung sollte mehr Klarheit bringen über den einst populären Priester und Ex-„Sternsinger“-Chef Winfried Pilz, dem Missbrauch vorgeworfen wird. Doch auch danach bleiben viele Fragen offen.
Aachen Winfried Pilz war lange nicht nur das Gesicht der „Sternsinger“-Aktion – also jenes Brauchs zum Jahreswechsel, bei dem Jungen und Mädchen als Heilige Drei Könige verkleidet Geld für Altersgenossen in armen Ländern sammeln. Der 2019 mit 79 Jahren gestorbene frühere Präsident des Kindermissionswerks, das die Aktion mit organisiert, war auch darüber hinaus lange einer der populärsten Kirchenmänner in Deutschland. Und auch das von ihm auf Deutsch getextete Lied „Laudato Si“ war lange ein echter Kirchenhit.
Erst im vergangenen Jahr gab es öffentlich die ersten Zweifel an seinem Wirken, als das Erzbistum Köln den Verdacht des Missbrauchs gegen den Geistlichen öffentlich machte. Eine neue Studie bringt angesichts dieser und anderer Vorwürfe nun mehr Klarheit, lässt aber weiter viele Fragen offen.
Wilfried Pilz bereits 2012 beschuldigt
Das Erzbistum teilte im Juni 2022 mit, dass Pilz schon 2012 beschuldigt worden war, einen „schutzbedürftigen Erwachsenen“ in den 1970er Jahren missbraucht zu haben. Deshalb erteilte ihm der damalige Kölner Erzbischof Joachim Meisner zwei Jahre später, also 2014, einen Verweis, legte ihm eine Geldstrafe auf und verbot ihm den Kontakt zu Minderjährigen. Laut einem Missbrauchsgutachten für das Erzbistum Köln hatte der als Sekretär für Pilz tätige Betroffene zum Zeitpunkt des sexuellen Kontakts das 18. Lebensjahr vollendet. Pilz habe zudem darauf verwiesen, dass der Sex einvernehmlich stattgefunden habe. Vor zwei Jahren bekam das Erzbistum dann Hinweise auf mögliche weitere Betroffene. Weil die Recherchen sich als „komplex“ gestalteten, startete es einen Aufruf an mögliche weitere Betroffene, sich zu melden.
Das Kindermissionswerk, dem Pilz von 2000 bis 2010 vorstand, wurde 2022 erstmals mit den Vorwürfen konfrontiert und startete eine eigene externe Untersuchung, um die Amtszeit des früheren Chefs zu durchleuchten. Nach mehrmonatiger Recherche bescheinigt die Autorin, die Kölner Rechtsanwältin Bettina Janssen, dem Geistlichen nun gravierendes Fehlverhalten. Zwar fänden sich keine Hinweise auf den Missbrauch von Minderjährigen, Schutzbefohlenen oder einen Missbrauch durch Ausnutzung einer Amtsstellung, aber sehr wohl auf „sexualbezogene Grenzverletzungen gegenüber erwachsenen Männern in Macht- und/oder Abhängigkeitsverhältnissen“.
Vier untergebenen Mitarbeitern drängte er demnach zum Beispiel Saunabesuche, das Teilen von Schlafräumen oder feste Umarmungen auf – für Janssen typische „Grooming“-Verhaltensweisen für eine mögliche Annäherung. Sie zeigten ein Muster, das mit der #MeToo-Debatte 2017 ins öffentliche Bewusstsein gerückt sei. Ihre Empfehlung an das Hilfswerk, über die dort schon vorhandenen Kinderschutz-Konzepte hinaus die institutionelle Prävention für abhängige Mitarbeiter auszubauen, soll bald umgesetzt werden. „Aufarbeitungsgutachten schließen ja nichts ab“, erklärte der aktuelle Präsident, Pfarrer Dirk Bingener.
Erzbistum Köln: „diverse Reaktionen“ und „relevante Hinweise“
Offen bleibt damit aber immer noch die Frage, was sich im früheren Leben des Geistlichen abgespielt hat – also vor 2000. Der 1940 in Warnsdorf im Sudetenland geborene Pilz kam nach der Vertreibung seiner Familie 1952 nach Köln, wo er 1966 die Priesterweihe empfing. Nach seiner Kaplanszeit in Euskirchen und Bonn rückte er wenige Jahre später auf einen Führungsposten und wurde Diözesanjugendseelsorger. Knapp 18 Jahre war er Rektor der Jugendbildungsstätte Haus Altenberg im Bergischen Land. Ob dort über die Beschuldigung von 2012 hinaus noch mehr vorgefallen ist, ist derzeit offen. Auf jeden Fall gab es weitere Vorwürfe, über die zum Beispiel im August 2022 der Deutschlandfunk und die „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“ berichteten.
Auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtete das Erzbistum Köln am Donnerstag, dass es auf den Aufruf im vergangenen Jahr „diverse Reaktionen“ und „relevante Hinweise“ gegeben habe, deren Einzelheiten aus Vertraulichkeitsgründen aber nicht mitgeteilt werden könnten. Generell erklärte die Erzdiözese: „Eine abschließende Entkräftung oder Bestätigung ist in Fällen bereits verstorbener Beschuldigter so gut wie nicht möglich.“
Von 2010 bis 2012 war Pilz noch Seelsorger in Prag, bevor er in den Ruhestand trat. Den verbrachte er bis zu seinem Tod 2019 im Bistum Dresden-Meißen, genauer in Leutersdorf in der Oberlausitz, nur wenige Kilometer von seinem heute in Tschechien liegenden Geburtsort Warnsdorf. In beiden Orten nahm er Vertretungsdienste wahr. Dem Aufruf, sich zu melden, schloss sich damals auch das Ostbistum an, das bislang aber keine Verdachtsmomente gegen Pilz öffentlich machte.
Falschaussagen des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki?
Der Fall Pilz spielt auch im juristischen Streit um mögliche Falschaussagen des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki eine Rolle. Der Erzbischof wehrt sich gegen die Darstellung der „Bild“-Zeitung, er habe sich bewusst dagegen entschieden, die vom Erzbistum Köln 2012 beziehungsweise 2014 unterlassene Meldung über die Vorwürfe an das Bistum Dresden-Meißen nachzuholen. Woelki betonte immer wieder, er habe von den Vorwürfen gegen Pilz erst Ende Juni 2022 erfahren – also kurz bevor das Erzbistum Köln den Fall öffentlich machte. Auch dieser juristische Streit ist noch nicht abgeschlossen. Und nicht nur deshalb ist auch das letzte Kapitel im Fall Pilz noch lange nicht geschrieben.