Es galt als Sensationsfund: Im Westjordanland wollten Forscher die bislang älteste hebräische Inschrift gefunden haben. Neue Studien halten dagegen. – Ein Beispiel für Interessen in der Archäologie des Heiligen Landes.
Jerusalem – Der Fund sorgte vor einem Jahr für großes Aufsehen. Ein internationales Archäologenteam unter der Leitung von Scott Stripling, Professor für biblische Archäologie und Kirchengeschichte aus Katy/Texas, präsentierte eine am sogenannten „Josua-Altar“ auf dem Berg Ebal gefundene rund 3.300 Jahre alte Bleitafel aus der Spätbronzezeit mit einer Fluchinschrift – und dem Gottesnamen Jahwe (YHW). Mithilfe tomografischer Scans habe man 40 Buchstaben einer vor-kanaanäischen Schrift identifiziert, die Stripling wie folgt übersetzte: „Verflucht, verflucht, verflucht – verflucht vom Gott YHW. Du wirst verflucht sterben. Verflucht, du wirst mit Sicherheit sterben…“
Der Fund vom Ebal, der in der Bibel als Berg des Fluches bezeichnet wird, sei um Jahrhunderte älter als alle anderen bekannten Tafeln aus dem alten Israel, teilte die Organisation Associates for Biblical Research (ABR) im März 2022 mit. Er reiche damit ungefähr in die Zeit hinein, in die die Tradition Josuas Eroberung datiert. Damit wäre er ein Beleg dafür, dass es sich bei dem dortigen Altar tatsächlich um die in der Bibel beschriebenen Kult- und Opferstätte handelte, die rituellen Verfluchungen gewidmet war, betonten die von evangelikalen US-Christen unterstützten Forscher der ABR.
Neu Studien widersprechen Deutung
Drei neue Studien, die jetzt laut israelischen Medien im Israel Exploration Journal erscheinen, widersprechen der Deutung Striplings. Nach ihren Forschungen ist auf der zwei mal zwei Zentimeter kleinen Tafel keine Schrift erkennbar, keine Schrift vorhanden. Vielmehr weise die Bleioberfläche „zufällige Kratzer, Streifen, Lochfraß und Vertiefungen“ auf, infolge von Erosions- und Verwitterungsprozessen der Jahrhunderte.
Und selbst wenn ein Text vorhanden ist, sei unklar, ob er als hebräisch definiert werden könnte, betonen der Archäologe Aren Maeir von der Bar-Ilan-Universität und der biblische Epigraphiker Christopher Rollston von der George Washington University. Das mehrfach wiederholte Wort „arur“ (verflucht) wurde auch in anderen semitischen Sprachen verwendet, so die Wissenschaftler. Einzig der Name Jahwe sei wirklich hebräisch; aber der biblische Gottesname wurde auch in nicht-hebräischen Texten erwähnt, etwa der moabitischen Mesha-Stele aus dem 9. vorchristlichen Jahrhundert.
Studien äußern Bedenken zur Datierung des Fundes
Weitere Bedenken äußern die Studien zur Datierung des Fundes. Bereits in den 80er Jahren hatte der israelische Archäologe Adam Zertal bei Grabungen auf dem Ebal den frühisraelitischen Altar entdeckt, den er mit Josua und der biblischen Landnahme in Kanaan in Verbindung brachte. Stripling und sein Team hatten nun keine eigenen Grabungen vorgenommen, sondern Schutt und Abfälle aus jener Kampagne gesammelt und mit der neuen Methode des Nass-Siebens neu untersucht – und dabei die Bleitafel gefunden. Aber Funde aus der „durcheinandergebrachten Mülldeponie“ des Archäologen Zertal ließen keine ernsthafte Datierung zu, heben die Studien hervor. Im übrigen sei auch das Alter des mutmaßlichen Josua-Altars unter Experten umstritten. Neben der Verortung in der „Josua-Zeit“ datieren andere sie 200 Jahre später, ins 11. Jahrhundert, in die frühe Eisenzeit.
In einer anderen Studie stellt Amihai Mazar, ein pensionierter Archäologe der Hebräischen Universität in Jerusalem, fest, dass das Artefakt die perfekte Größe, Form und Zusammensetzung eines „Senkers“ zum Beschweren von Fischernetzen hat. Sie wurden so in der späten Bronzezeit, aber auch in nachfolgenden Perioden verwendet. Bei Ausgrabungen seien hunderte Exemplare im gesamten östlichen Mittelmeerraum gefunden worden. Weiter ermittelte eine Isotopenanalyse, dass das Blei aus der Lavrion-Mine vom griechischen Festland stammt. Diese war zwar nachweislich schon in der Spätbronzezeit in Betrieb, blieb es aber auch in späteren Perioden.
Beim Berg Ebal schwingen religiöse und politische Interessen mit
Wie häufig bei Ausgrabungen in der Archäologie des Heiligen Landes treffen auch hier unterschiedliche Schulen und Interessen zur historischen Aussagekraft biblischer Berichte aufeinander. Wann hat sich die hebräische Schrift entwickelt? Konnten die frühen Israeliten lesen und schreiben? Und waren sie in der Lage, die Bibel „in Echtzeit“ zu schreiben – was die Forscher um Stripling mit der zeitnahen Datierung des Funds vom Josua-Altar auf den Ebel belegen wollten? Oder wurde die Bibel erst Jahrhunderte nach den meisten Ereignissen, über die sie berichtet, niedergeschrieben – womit sich ihr historischer Aussagegehalt relativiert, wie andere Forscher meinen.
Beim Berg Ebal schwingen, wie auch bei anderen archäologischen Stätten im Westjordanland, religiöse und politische Interessen mit, schreiben die Medien. Er werde häufig von Siedlern und rechten Aktivisten besucht, die seine historische Bedeutung aufwerten und damit durchsetzen wollen, dass Israel die Souveränität über dieses und andere Kulturerbestätten wahrnimmt.