Reformation: Mehr als nur ein dicker Hammer

Hamburg – „Sinn und Unsinn des Reformationsjubiläums 2017“: Zu viel Luther – so lautet das Fazit namhafter Historiker.

Martin Luther im Kreise von Reform atoren, um 1625/1650. Das Bild stammt aus der Ausstellung „Der Luthereffekt. 500 Jahre Reformation“, die vom 12. April bis 5. November 2017 in Berlin zu sehen sein wird. Foto: © Deutsches Historisches Museum

Worum geht es eigentlich? Um Tourismus? Um ein Konjunkturprojekt? Oder um Gedenken? Zu viel Luther – so lautete jedenfalls jüngst das einhellige Fazit einer Podiumsdiskussion auf dem Deutschen Historikertag über „Sinn und Unsinn des Reformationsjubiläums 2017“ in der Hamburger St.-Jacobi-Kirche. Der Kirchenhistoriker Anselm Schubert (Erlangen) beklagte eine „völlig Personalisierung“. Das Grundproblem aber sei, „dass wir etwas feiern sollen und nicht wissen warum“, sagte der evangelische Theologe und Historiker.

Er habe den Eindruck als wolle man „in der Evangelischen Kirche gar nicht mehr die Reformation feiern“, sondern „eine gemeinsame Trauerarbeit der Traumata der Konfessionalisierung“ betreiben, sagte Schubert vor dem Hintergrund des „Gemeinsamen Wortes zum Jahr 2017“, das die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), vor Mitte September 2016 veröffentlicht haben (vgl. Neues Ruhr-Wort, 38/16). „Die Einzigen, die wirklich feiern wollen“, seien die Politiker, und zwar „mit viel Geld“ im Bund und in den Ländern. „Die Motive, die da gefeiert werden, sind schwierig für einen Historiker“, sagte Schubert. Es gehe um Luther – als Erfinder des Bildungsbürgertums, als Musikfan, als Erfinder des Pilgerns oder des zivilen Ungehorsams. Es gehe nicht mehr um den Inhalt. Das Reformationsjubiläum sei gekennzeichnet von „Enthistorisierung und Entkontextualisierung“. Der evangelische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann (Göttingen) sprach von einer „tourismuspolitischen Konjunkturmaßnahme“ im Hinblick auf die fünf neuen Länder.­­

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Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio, der Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats „Reformationsjubiläum 2017“ ist, sagte, in der Ökumene seien „die Katholiken nicht so zum Feiern aufgelegt, aber sie sind bereit, dieses epochalen Ereignisses zu gedenken. Deswegen sprechen wir vorsichtig von einem Jubiläum.“ Er bekannte, als Katholik habe auch er „keinen Grund zur Freude bei 500 Jahren Refomation“. Als Staatsrechtler sehe er aber „das Aufsprengen einer korrupt gewordenen Kirche“ und er sehe die Vorteile, die im Reformationsprozess steckten. Es gehe darum, „das Durchtrennte als Durchtrenntes ruhen zu lassen“, sich aber dennoch zu nähern. Das sei der Sinn der Ökumene.

Zugleich beklagte Di Fabrio die anhaltende Darstellung der Reformation, „die wir gerne brechen würden: Es ist die Heroisierung des Thesenanschlags, die Hammersymbolik und die Fixierung auf Martin Luther.“ Aber offenbar könne man den Dingen nicht entkommen, das sei „wie ein Gravitationszentrum. Und wenn die Marketingabteilungen unterwegs sind, dann steuern sie dieses Gravitationszentrum voller Begeisterung an.“ Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht ist jetzt Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn.

„Die waren der Meinung, dass man mit einer baummarktartigen Kampagne Personen ansprechen könnte, die sonst für museale Themen nicht erreichbar sind. Ich glaube, dass das ein Schuss in den Ofen ist.“

Thomas Kaufmann wurde noch deutlicher. Er kritisierte vor allem die Werbekampagne für die drei nationalen Sonderausstellungen zu 500 Jahren Reformation in Berlin, Eisenach und Wittenberg, die mit dem gemeinsamen Internetauftritt „3xhammer.de“, einem Hammer und unter dem Titel „Die volle Wucht. Die Reformation“ beworben werden. „Was hier passiert, werbetechnisch, ist der größte anzunehmende Ernstfall. Das ist nicht mehr witzig, das ist skandalös“, sagte der Göttinger Universitätsprofessor. Der wissenschaftliche Beirat, dem er angehört, sei „mit keiner Silbe gefragt worden“, sagte Kaufmann. „Das ist nicht hinnehmbar, das ist schlichtweg ärgerlich.“ Da habe sich die Werbeagentur einfach durchgesetzt. „Die waren der Meinung, dass man mit einer baummarktartigen Kampagne Personen ansprechen könnte, die sonst für museale Themen nicht erreichbar sind. Ich glaube, dass das ein Schuss in den Ofen ist.“

Kaufmann hält die Kampagne für „fatal“, weil sie das symbolisch besetzte Konzept des Thesenanschlags aufnehme. Das aber sei die „Fortsetzung einer Perspektive, die zu überwinden sich die Wissenschaft seit einigen Jahrzehnten“ bemühe. Dass aber Martin Luther am 31. Oktober 1517 mit lauten Hammerschlägen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt haben soll, das gilt unter Historikern seit langem als in das Reich der Legenden gehörend. Kaufmann betonte indes, dass man „auf keinen Fall die Qualität der Ausstellungen über die Qualität der Werbung beurteilen“ dürfe.

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Und er betonte, sich des 500. Jahrestages zu erinnern, sei „für unser staatliches Gemeinwesen sachgerecht“. Die Reformation zu feiern, sei hingegen „Aufgabe der christlichen Kirchen, die sich in besonderer Weise der Reformation verbunden fühlen“. Die „Vermischung von Erinnerung und Feier“, nicht zuletzt durch den Reformationstag 2107 als gesetzlichem Feiertag, bedeute eine besondere Herausforderung. Historiker hätten die Aufgabe, den Politikern, die den Beschluss dazu gefast haben, „gleichsam im Nachgang sinnvolle Motive näherzubringen“.

Aber man kriege die Figur Luther „nicht einfach weggekegelt“. Das hänge auch mit deren „initiatorischer Bedeutung“ für die Reformation zusammen, sagte der Wissenschaftler. Kaufmann begrüßte das Reformationsjubiläum indes als Gelegenheit, „endlich mal eine weiter zurückliegende Epoche der deutschen Geschichte einer breiteren Öffentlichkeit“ ins Bewusstsein zu bringen.

Die Wissenschaft habe es in der Tat schwer, auch die Ambivalenz des reformatorischen Prozesses ins öffentliche Bewusstsein zu transportieren, beklagte Di Fabrio. Der Staatsrechtler wandte sich gegen die immer noch verbreitete Vorstellung, die Reformation sei der Beginn der modernen Verfassungsstaatlichkeit samt Aufklärung. Die Reformation sei bereits die „Folge eines Modernisierungsimpulses“ gewesen, sie rage als „Modernisierung des Glaubenssystems“ in diesen Epochenumbruch hinein.

„Eine breite wissenschaftliche Reformationsforschung existiert derzeit gar nicht.“

Matthias Pohlig, der Geschichte der Frühen Neuzeit in Münster lehrt, sagte, die Konzentration auf die Person Luther sei „nicht produktiv“, aber „die Voraussetzung dafür 2017 überhaupt zu feiern“. Dies sei ein Grund dafür, warum er als Allgemeinhistoriker mit dem Reformationsjubiläum „eher fremdle“. Kirchliche und politische Gruppen sowie die akademische Geschichtswissenschaft hätten sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was erinnert wird. Dies sei aber durchaus legitim.

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Für den wissenschaftlichen Ertrag „scheint mir das Reformationsjubiläum nicht sehr relevant zu werden“, sagte Pohlig. „Eine breite wissenschaftliche Reformationsforschung existiert derzeit gar nicht.“ Das sei aber ein Problem, wenn Forscher versuchten, das Reformationsjubiläum mitzugestalten. So habe sich in der Lutherdekade die Zahl reformationshistorischer Konferenzen und Publikationen vervielfacht. „Das ist nicht nur gut. In diesem Rahmen wird noch sorgloser als sonst Geld für zweifelhafte Projekte und zusammenhanglose Sammelbände ausgegeben“, kritisierte Pohlig.

„Luther wollte vieles, aber sicher nicht eine freie Diskussion über die Religion.“

Auch der Erlanger Anselm Schubert hält es bei aller Kritik für sinnvoll, das Reformationsjubiläum zu begehen: „Nicht weil Luther ewige Inhalte verkündet“ hätte, sondern weil er glaube, „dass er eine wichtige Frage gestellt hat“. Es gehe darum, was die Norm ist, die der Religion zugrunde liege: der Papst als letzte Lehrinstanz oder die Schriften als erste Grundlage des Christentum. Diese Frage lasse sich nicht mehr ungeschehen machen. Das Moderne an Luther sei gewesen, dass er die Normenfrage gestellt habe – das Mittelalterliche, „dass er noch versucht hat, sie zu beantworten.“

Zugleich betonte Schubert: „Luther wollte vieles, aber sicher nicht eine freie Diskussion über die Religion.“ Für Luther habe gegolten: „Diskutieren ist Zweifel, zweifeln ist Unglaube, Unglaube ist Satan.“ Es sei aber notwendig geworden, über Religion zu diskutieren.

Boris Spernol

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