Mit konkreten Hoffnungen für die Stärkung der Rechte benachteiligter Menschen und der Ureinwohner Amazoniens startet Pater Michael Heinz, der Geschäftsführer und Leiter des Bischöflichen Hilfswerks Adveniat, zur Amazonas-Synode, die am 6. Oktober in Rom beginnt. Zugleich reagierte er im Interview mit unserer Zeitung vor der dreiwöchigen Zusammenkunft gelassen auf die Kritik und auf Ängste konservativer Bischofskreise im Vorfeld des Treffens.

(Foto: Achim Pohl/Adveniat)
Der deutsche Kardinal Walter Brandmüller etwa hatte per Brief andere Kardinäle und Synodenteilnehmer aufgefordert, sich auf den kirchlichen Umgang mit möglichen synodalen Fehlentscheidungen vorzubereiten. Für Heinz ist die Amazonas-Synode dagegen ein Forum, auf dem sich Bischöfe, Ureinwohner und andere Fachleute positiv und kritisch mit herausfordernden Fragen von Pastoral, Ökologie und der Situation der Menschen im Amazonas-Becken beschäftigt. Für ihn zählt es, zwischen Kontinenten Positionen und theologische Standpunkte produktiv zusammenzuführen.
Hierbei sind aus der Sicht von Papst Franziskus neue Wege für die Region entscheidend, in der Menschen und Natur stark vom Profitstreben anderer und weltweitem Neokolonialismus bedroht seien. Massive Ausbeutung und Abholzung des Regenwaldes – etwa durch Maisanbau für den weltweiten Bedarf – sind die Folge.
Für eine Pastoral, in der Priester ihren örtlichen Glaubensgemeinschaften in riesig ausgedehnten Pfarreien maximal zwei oder dreimal jährlich begegnen, stellt sich die Frage von noch mehr Verantwortung von Frauen und Laien für die Gemeinschaften. Zur Pastoral hatte Papst Franziskus früh betont: Wichtig seien die Dienste der Evangelisierung, die verschiedenen Arten zu evangelisieren und wie die christliche Botschaft gelebt werde. Demgegenüber seien die „viri probati“, ältere verheiratete Männer, die zu Priestern geweiht werden, nur ein Punkt im Arbeitsdokument der Synode.
Weltweit gehörte Voten in der Frage der Frauenverantwortung, die auch in Deutschland beim synodalen Weg von Bedeutung sind, erwartet Pater Heinz von der Synode nicht. „Ohne Frauen geht’s in der Kirche gar nicht.“ Die Frauenfrage werde aber in der Praxis über die Synode hinaus weitergehen. Wenn die Synode neue Wege gehe würden auch ander Ortskirchen diese Erfahrungen sehr weit begleiten. Generell werde, was von der Synode ausgeht, „sicher Auswirkungen oder einen Vorbildcharakter haben“.
Entscheidend wichtig ist für Heinz, dass angesichts der in den Medien präsenten Konferenz Menschen aller Kontinente viel übereinander lernen. Demgegenüber werde die Konferenz kaum Einfluss auf die vielfach naturverachtende Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro nehmen. Gilt es jetzt schon im Synoden-Vorfeld, Konkretes über Pastoral, die Rechte der Menschen und einer ganzheitlichen Ökologie festzuhalten? Papst Franziskus hat über seine für die Synode grundlegende Enzyklika „Laudato si“ gesagt, sie sei keine „grüne Enzyklika“, sondern soziales Rundschreiben auf grüner Grundlage. Sorge um die Umwelt hat also seit „Laudato si“ ganz zentral die Menschen und ihr Zusammenleben im Blick. Weltweiten Blick fordert unterdessen Kardinal Peter Turkson, Chef des „päpstlichen Entwicklungsministeriums“ Justitia et Pax: „Wir dürfen uns nicht auf heutige Bedürfnisse beschränken.“ Nötig sei Weitsicht auch für zukünftige Generationen. uw
Herr Pater Heinz, in welcher Stimmung starten sie nach Rom?
Heinz: Natürlich bin ich gespannt. Für mich ist es das erste Mal, dass ich an einer Synode teilnehme. Als Steyler Missionar hatte ich bisher zweimal an einem General-Kapitel unseres Ordens, einer ähnlichen Veranstaltung, teilgenommen. Die Synode jetzt gerade in Rom und mit den Bischöfen des gesamten Amazonas-Gebiets ist etwas Neues für mich. Ich freue mich darauf, weil ich sehr viele Projektpartner von Adveniat treffen werde. In Rom nehmen ja die 108 Bischöfe des gesamten länderübergreifenden Amazonas-Raumes teil. Davon sind, das kann man sagen, 95 Prozent Projektpartner von Adveniat.
Für die Ausrichtung der Synode stand im Vorfeld auch die Befragung von 85 000 Menschen quer durch das nördliche Südamerika. Wie passt dieses dialogische Konzept der Vorbereitung zu der Kritik von Kardinal Walter Brandmüller als konservativer Vertreter europäischer Skeptiker, der schon vor der Eröffnung des Gemeinschaftstreffens von möglicherweise „häretischen Synoden-Entscheidungen“ warnt. Wie bewerten Sie seine Forderung im Brief an Kardinäle, man solle sich jetzt schon „auf den Umgang mit möglichen synodalen Fehlentscheidungen vorbereiten“?
Heinz: Kritik ist erst einmal ja etwas Positives. In erster Linie gibt es ja bei allen Synoden – und gab es auch bei Konzilien – immer wieder Kritik. Menschen sehen Positives, aber auch Negatives. Wenn sie das Gute sehen, aber eben auch andere Aspekte mit einbringen, ist das nichts Schlechtes. Auch bei den vorsynodalen Treffen gab es das. Neben den vielen Indigenen, die konsultiert wurden, gab es auch Menschen aus anderen Teilen der verschiedenen Länder und Unternehmer, die kritische Punkte mit eingebracht haben. Wir müssen gerade bei den beiden Kardinälen Müller und Brandmüller sehen, dass sie natürlich nicht nur die deutsche, sondern auch ihre europäische Theologie mit einbringen. Und auf der anderen Seite sehen wir auch die Lateinamerikaner als eine Gruppe von Theologinnen und Theologen, die anders argumentieren, von ihrer Herkunft und auch von ihrem theologischen Ort, aus als wir Europäer. Papst Franziskus ist von seiner Erfahrung her auch Lateinamerikaner.
Er kennt dieses Ambiente natürlich ganz besonders. Es ist für uns in der Synode gut, die verschiedenen Positionen zu hören. Ich gehe aber auf keinen Fall so weit, wenn die beiden Kardinäle sagen: Es drohe hier eine Häresie. Verschiedene Ansatzpunkte der Theologie und europäischer oder lateinamerikanischer Erfahrung führen dahin, dass sich mit der Synode einiges Neues ergibt – hoffentlich! Der Papst hat dazu eingeladen, neue Wege zu gehen. In Rom kommt es darauf an, wie wir das umsetzen. Das ist das Wichtige.
Auch in Lateinamerika streiten Bischöfe durchaus heftig über Glaubens-Grundlagen, ihre Ausrichtung und über die Rolle der Kirche in der Politik. Teilen Sie die Kritik von Altbischof José Azcona, es gehe bei der Synode zwar um wichtige Themen wie Ökologie, indigene Kulturen und Dialog, aber die Amazonas-Synode sei letztlich eine gigantische Inszenierung?
Heinz: Auf keinen Fall. Bischof Azcona ist jemand, der zwar auch im Amazonas verankert ist und schon länger dort lebt. Auch in Lateinamerika gibt es verschiedene Theologien, die verschiedene Ansätze haben. Bischof Azcona sieht andere Schwerpunkte und hält sie für wichtiger. In der Synode wird es sicherlich auch einen Moment geben, wo man alle für uns wichtigen Schwerpunkte benennt. Der Papst ist da ganz klar: Er sagt, es geht um die Frage der Ökologie. Um die Frage der indigenen Völker. Und dann um die Frage auch der neuen Wege. Er hat bewusst neue Wege genannt und nicht die Ämter in den Vordergrund gestellt, aber er hat gesagt: Wir müssen pastoral neue Wege gehen und neue Wege suchen.
Ich glaube, damit sind wir beim zentralen Problem, ich will aber die politische Ebene ansprechen und dabei auch die Enzyklika „Laudato si“ einbeziehen, die 2015 einen deutlichen Einfluss auf die einigende Entscheidung der Weltklimakonferenz hatte. Kann es da jetzt Parallelen geben, dass Botschaften der Amazonas-Synode dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro Schranken setzen, der ja die Ökologie und damit Menschen mit Füßen tritt?
Heinz: Die Synode kommt zu einem wichtigen und zum richtigen Zeitpunkt. Papst Franziskus hat ein gutes Gefühl für Botschaften, die bewegen. Auch „Laudato si“ hat es im Zusammenhang der Vorbereitungen für das große Treffen in Paris geschrieben. Sicherlich mit einer Absicht. Ich finde es gut, dass uns da auch ein wichtiger Beitrag nicht nur für die ganze Diskussion, sondern eben auch für den wissenschaftlichen Diskurs zu Klimapolitik und Menschenwürde vorliegt, der über die Kirche hinausgeht. Was Bolsonaro (und seine auch Indigene verachtenden Äußerungen d.Red.)angeht, gehe ich nicht so weit, dass wir glauben, direkt Einfluss auf eine Regierung oder einen Politiker nehmen zu können. Aber Bewusstseinsbildung ist die Absicht der Synode. Wir können im positiven Sinne wirken. Alle, die im Amazonas Großraum leben und ihn nutzen, sollten sehen, dass der Schutz der Umwelt dort äußerst wichtig ist. Nicht nur im eigenen Interesse, sondern im Interesse des Landes und für alle Menschen weltweit.
Thema Neue Wege der Pastoral: Gibt es aus Ihrer Sicht auch in Lateinamerika Vorbehalte, Frauen und Laien mehr Verantwortung für eine den Menschen nähere Pastoral am Amazonas zu übergeben?
Heinz: Die lateinamerikanische Kirche ist kein einheitlicher Block. Da gibt es diejenigen, die auch jetzt schon mehr Frauen in der Pastoral miteinbeziehen. Das ist in allen Bischofskonferenzen und Ländern so. Auch in Deutschland kommen wir nicht ohne Frauen aus. Wir reden immer über die Stellung der Frau in der Kirche, aber ohne Frauen geht’s gar nicht. Mit den Frauen läuft alles an der Basis zusammen. Von daher denke ich, ist das eine Frage, die die Synode bespricht, aber die darüber hinaus weitergehen wird. Ich persönlich glaube aber: Die Synode wird dazu wenig sagen.
Das Arbeitspapier „Instrumentum Laboris“ wünscht sich zunächst, dass die Stimme Lateinamerikas und der Menschen dort zur Sprache kommt. Danach ist die Rede von einem Denkanstoß auch für Europa. Was bedeutet das?
Heinz: Die Synode spricht erst einmal für die regionale Situation der Menschen dort und wird für sie durchgeführt. Aber wenn sie dann neue Wege gehen wird, dann glaube ich schon, dass andere Ortskirchen sich diese Wege anschauen werden. Und andere Bischofskonferenzen werden dann sicherlich auf den Papst zugehen oder selbst initiativ werden und sagen, dass sie das auch versuchen wollen. Das wird sicherlich Auswirkungen oder auch einen Modell- und Vorbildcharakter für andere Ortskirchen haben.
Adveniat steht für kirchliches Engagement an den Rändern der Gesellschaft und an der Seite der Armen. Wie sind Ihre persönlichen Hoffnungen, wenn Sie auf den Amazonas-Raum und die Synode blicken?
Heinz: Ich hoffe ganz stark, dass die indigenen Völker gestärkt werden: in der Verteidigung ihres Landes, ihrer Rechte und der Menschenrechte. Auch bei den großen Waldbränden jetzt sehen wir, dass die Indigenen in diesen Gebieten nicht als Menschen oder Völker wahrgenommen und angesprochen werden. Sie haben da von Präsident Bolsonaro in Brasilien gesprochen. Im Amazonas leben 3,5 Millionen Indigene bei einer Gesamtbevölkerung von 35 Millionen Menschen. Dem Papst sind sie aber gerade wichtig, weil sie als „Randgruppen“ von der Gesellschaft gesehen werden.
Ich erhoffe mir, dass sie einen besseren Stand in der Kirche und Gesellschaft haben. Und ich betone, dass wir als Kirche die Menschen am Amazonas immer begleitet haben. Aber in der Geschichte in den Jahren seit der Kolonialisierung war nicht alles gut und schön. Es gab Momente, wo wir als Kirche sicherlich Fehler gemacht haben. Ich denke, es ist weiter nötig, dass wir das aufarbeiten und das anschauen müssen. Die indigenen Völker sollten gestärkt aus der Synode hervorgehen.
Möchten Sie Folgen und Wirkungen konkretisieren oder prognostizieren?
Heinz: Ich wünsche, dass die Menschen jetzt schon aufmerksam werden. Das geschieht durch die Waldbrände, und es ist durch vorbereitende Treffen zur Synode geschehen. Menschen in der Kirche werden jetzt aufmerksam auf das, was geschieht. Viele wissen kaum, wie es im Amazonasgebiet aussieht, sehen indigene Völker als wenig entwickelt. Sie wissen nicht um ihre Kultur und die Bedrohung ihrer Existenz in der Folge der Vernichtung des so wertvollen Regenwalds. Dass solche Informationen über den Amazonas auch zur deutschen Bevölkerung und in die deutsche Kirche kommen, ist unheimlich wichtig.
Es ist sehr gut, dass wir auch wissen und zunehmend lernen, wie wichtig der Amazonas für die ganze Welt ist. Wir wissen auch immer mehr, wie wichtig die dort lebenden Menschen für den Schutz des Waldes und des ganzen Amazonas sind – und dadurch für die ganze Welt. Daraus folgt direkt, dass wir uns mehr für die Menschen dort einsetzen, nicht nur für die Natur. Vor 50 Jahren in Medellin und vor 40 Jahren in Puebla hat die lateinamerikanische Kirche eine Option für die Armen und für die Jugend ausgesprochen. Nach Medellin und Puebla ist es heute eine Option für die Schöpfung. Für die gesamte Schöpfung.