Psychologe: In Corona-Krise nicht nur Gefahren betonen

Der Mannheimer Psychologe Peter Kirsch appelliert in der Corona-Krise an Politik und Behörden, nicht nur auf Gesundheitsgefahren zu verweisen, sondern auch positive Perspektiven aufzuzeigen. „Es wäre wichtig, eine Balance zu finden zwischen klaren Warnungen vor den Folgen und der Hoffnung, dass es eine Zeit danach gibt und eine Rückkehr zu einem normalen Leben möglich ist“, sagte Kirsch am Donnerstag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Mannheim. Optimismus könne helfen, gut aus der Krise zu kommen.

Corona

(Symbolfoto: Gerd Altmann/Pixabay)

Mit einer starken Zunahme von psychischen Erkrankungen infolge der Einschränkungen der Corona-Krise rechnet er nicht. Eher seien besonders jene gefährdet, die schon vor der Krise psychisch erkrankt waren, so Kirsch.

Den Kirchen attestiert der Psychologe, trotz der Beschränkungen kreativ und verantwortungsvoll auf Menschen zugegangen zu sein. Es sei beispielsweise mit einer Vielzahl von Online-Angeboten gelungen, „zumindest für die Menschen, die man damit erreichen konnte, durchaus ein Stück soziale Nähe und damit auch Rückhalt“ zu bieten.

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„Angst vor Kontrollverlust“

Psychologe Kirsch zu Stress und Strategien in der Corona-Krise

Um Bürger in der Corona-Krise nicht weiter zu verunsichern oder sogar in die Arme von Verschwörungstheoretikern zu treiben, plädiert der Psychologe Peter Kirsch vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim für mehr Optimismus. Im Interview sagte der Experte, es brauche eine Balance zwischen klaren Warnungen vor dem Virus und der Hoffnung, dass ein normales Leben wieder möglich wird.

Herr Professor Kirsch, die Corona-Krise hat unser Leben auf den Kopf gestellt – von Normalität keine Spur. Wie gehen die Menschen damit um?

Kirsch: Der entscheidende Stressfaktor ist der Kontrollverlust – ich weiß nicht, wie mein Leben in nächster Zeit weitergeht. Das ist aus meiner Sicht die größte Bedrohung für die psychische Gesundheit. Wir wissen aus der Resilienzforschung, dass Menschen besonders gesund aus solchen Situationen herauskommen, wenn sie optimistisch sind. Insofern ist Optimismus sicherlich ein hilfreicher Ansatz….

KNA: Von Optimismus war in den vergangenen Wochen eher selten die Rede, auch jetzt nicht, vielmehr wurde und wird gewarnt, dass wir erst am Anfang der Pandemie stehen, dass es eine zweite Infektionswelle geben könnte.

Kirsch: Die Politik und auch das Robert-Koch-Institut haben die Strategie verfolgt, ganz entschieden vor der Pandemie zu warnen, um den Menschen klarzumachen, wie dramatisch die Situation ist. Das hat gerade am Anfang sehr gut funktioniert, weil die Leute die Situation ernst genommen und sich dementsprechend an die Regeln gehalten haben. Es hat aber auf der anderen Seite den Nachteil, dass manche Dinge sehr drastisch dargestellt wurden, was zu einem pessimistischen Blick in die Zukunft führt. Ich glaube, es wäre wichtig, eine Balance zu finden – zwischen klaren Warnungen vor den Folgen und der Hoffnung, dass es eine Zeit danach gibt und eine Rückkehr zu einem normalen Leben möglich ist.

KNA: Wie stark belastet sind die Menschen aktuell? Welche Erfahrungen macht das Zentralinstitut – melden sich mehr Menschen bei Ihnen?

Kirsch: Wir haben zusammen mit psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten in Baden-Württemberg eine Telefon-Hotline eingerichtet. Und an die haben sich bislang mehr als 2.000 Menschen gewandt. Ungefähr die Hälfte von ihnen hatte bereits vor der Corona-Krise eine psychische Erkrankung. Die Situation ist also insbesondere schwierig für Menschen, die schon psychisch erkrankt sind. Nicht zuletzt deswegen, weil die Beratungsangebote, auch bei uns am Zentralinstitut, stark reduziert wurden. Einen großen Ansturm von Menschen, die vor der Corona-Krise psychisch gesund waren, haben wir dagegen nicht gesehen. Ich würde mich deshalb zurückhalten mit Ankündigungen, dass eine riesige Welle von schwer psychisch Kranken auf uns zurollt. Das sehe ich ehrlich gesagt nicht.

KNA: Masken tragen, Abstand halten, sich nicht die Hände schütteln und nicht umarmen: das sind die Gebote der Stunde, womöglich aber auch der kommenden Monate und Jahre. Wie lassen sich solche einschneidenden Verhaltensänderungen herbeiführen?

Kirsch: Wir brauchen so etwas wie eine neue Normalität. Am Anfang haben sich die Menschen, wahrscheinlich durch Angst getrieben, an die Regeln gehalten. Jetzt hat man ein wenig das Gefühl, dass die Stimmung kippt und viele denken „Na ja, das ist alles gar nicht so schlimm, und ich muss vielleicht nicht so viel ändern.“ Dieses Problem wird man aber nicht mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen in den Griff bekommen. Das sieht man ja auch an den Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen.

KNA: Was ist dann der richtige Weg?

Kirsch: Die Menschen müssen verstehen, dass das Abstandhalten, das Einschränken von Kontakten und das Tragen von Masken zu etwas Normalem werden muss. Dann ist es möglicherweise auch weniger einschränkend, weil es das Besondere verliert. Aber dafür brauchen wir viel Überzeugungskraft.

KNA: Vor allem für die neuen Verschwörungstheoretiker, die die Existenz des Virus anzweifeln und hinter allem eine böse Macht wittern. Warum hängen Menschen solchen Theorien an?

Kirsch: Das hat viel mit dem Gefühl des Kontrollverlusts zu tun – nicht zu wissen, was passiert. Verschwörungstheorien bieten in sich geschlossene Erklärungen und lassen Dinge, die ich nicht verstehe, plötzlich sinnvoll erscheinen. Es gibt Menschen, die haben eine Verschwörungsmentalität, das heißt, sie neigen dazu, solche Verschwörungstheorien eher zu glauben. Hinzu kommt mangelndes Vertrauen in staatliche Institutionen. Das hat sich in den vergangenen Wochen dadurch verstärkt, dass sich Informationen oder auch Handlungsanweisungen immer wieder geändert haben. Ein anderer Faktor ist die Gemeinschaft, die durch Verschwörungstheorien entsteht. Gerade in einer Situation wie jetzt, wo Menschen sehr stark isoliert sind, ist es attraktiv, sich in einer Gruppe von Wissenden, von Erkennenden zu befinden und dadurch eine Identität zu bekommen.

KNA: Es gibt gerade Debatten, ob Kirchen nicht zu still waren in der Corona-Krise. Hätten sie mehr Verantwortung übernehmen müssen, den Menschen stärker einen Kompass bieten sollen?

Kirsch: Als evangelischer Christ und Kirchenmitglied wünsche ich mir immer, dass meine Kirche sich laut und deutlich zu gesellschaftlichen Fragen äußert und das gilt auch für die Frage, wie man als Christenmensch durch sein Verhalten der Verantwortung für seine Mitmenschen gerecht wird und wie wir als Gesellschaft dem Dilemma zwischen notwendigem Infektionsschutz und psychischen und wirtschaftlichen Konsequenzen der sozialen Distanzierung begegnen können. Ich finde aber, dass die Kirchen gar nicht so still waren. Ich hatte sogar den Eindruck, dass die Vielzahl von Online-Angeboten, die in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft wurden, zumindest für die Menschen, die man damit erreichen konnte, durchaus ein Stück soziale Nähe und damit auch Rückhalt geboten haben.

Von Stefanie Ball (KNA)