Hat Kardinal Rainer Maria Woelki einen Missbrauchsfall im Erzbistum Köln vertuscht? Neue Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeigers“ (Donnerstag) lassen zumindest auf Verfehlungen beim Umgang mit einem Fall sexualisierter Gewalt schließen.
Einem Bericht der Zeitung zufolge, soll Woelki 2015 einen Fall schweren sexuellen Missbrauchs durch einen Düsseldorfer Priester pflichtwidrig nicht an den Vatikan gemeldet haben. Betroffen von den Vorwürfen sei aber auch Woelkis Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner (1933-2017). Ende Oktober hatten der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki erklärte, von seinem Amt zurückzutreten, wenn die von ihm in Auftrag gegebene Missbrauchsstudie nachweisen würde, dass er an Vertuschungen beteiligt war.
Demnach habe Woelki nach Sichtung von Personalunterlagen verfügt, den einschlägigen Missbrauchsvorwürfen gegen den 1929 geborenen Pfarrer nicht weiterzugehen. Es wurde keine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet und der Fall auch nicht an den Apostolischen Stuhl gemeldet wird. Dies aber wäre eine kanonische Straftat mit Sanktionen im Höchstfall bis zur Amtsenthebung.
Zeitung: Woelki fühlte sich beschuldigtem Priester persönlich verbunden
Das Erzbistum erklärte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf Anfrage, Woelki habe versucht, den konkreten Tatvorwurf recherchieren zu lassen. Der „sehr verschlechterte Gesundheitszustand“ von Pfarrer O. sowie die Entscheidung des Opfers, nicht an der Aufklärung mitwirken und sich keiner Konfrontation mit dem Beschuldigten aussetzen zu wollen, hätten die Einleitung einer kanonischen Voruntersuchung jedoch unmöglich gemacht. Die Zeitung zitiert dazu denTübinger Kirchenrechtler Bernhard Anuth, wonach das Kirchenrecht keinen solchen Ermessensspielraum spiele. O. starb 2017.
Wie der Kölner Stadt Anzeiger weiter berichtet, habe Woelki O. bereits seiner Ausbildungszeit zum Priester gekannt. Demnach sei der heutige Kardinal in den Jahren 1983/84 als Praktikant und Diakon in O.s Pfarrgemeinde tätig gewesen. Danach sei er dem Priester über Jahrzehnte eng verbunden geblieben. Laut Bistumsangabe habe Woelki in „allgemeiner“ Form bereits 2011 als für Düsseldorf zuständiger Weihbischof von den Vorwürfen erfahren.
Die Tat selbst datiert dem Bericht zufolge in die späten 1970er Jahre. Opfer sei ein Junge im Kindergartenalter gewesen. Nach heute geltendem Strafrecht hätte der Täter wegen der Schwere des Verbrechens im Fall einer Verurteilung vor einem staatlichen Gericht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren zu rechnen gehabt. Das Opfer habe den Missbrauch 2010 beim Erzbistum Köln angezeigt. Nach einer Prüfung habe das Erzbistum ihm eine Summe von 15.000 Euro gezahlt.
Versäumnisse bei Kardinal Meisner
Der damalige Kölner Kardinal Joachim Meisner unterließ laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ schon damals Schritte, die das Kirchenrecht und die bischöflichen Leitlinien zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs vorschreiben. Dies war offenbar nicht der einzige Fall.
Erst am Mittwoch war bekannt geworden, die kirchliche Vorgesetzten im Erzbistum Köln einen anderen Missbrauchsfall offenbar nicht konsequent geahndet hatten. Die Erzdiözese hatte bestätigte, wonach sich gegen einen heute 73-jährigen Ruhestandsgeistlichen und religionspädagogischen Sachbuchautor Vorwürfe sexualisierter Gewalt richten. Nähere Details wurden nicht mitgeteilt. Der Fall sei Gegenstand der unabhängigen Untersuchung über die Vertuschung von Missbrauchsfällen, die der Kölner Strafrechtler Björn Gercke bis März 2021 vorlegen solle.
Kirchenrechtler: Jede Vertuschung in Rom meldepflichtig
Kirchenrechtler Anuth sagte, generell sei jede Vertuschung eines Missbrauchsfalls durch den Ortsbischof seit Juni 2019 in Rom meldepflichtig und müsse in einem eigenen kirchlichen Ermittlungsverfahren untersucht werden. Anuths Münsteraner Kollege Thomas Schüller von der Universität Münster sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, so wie das Erzbistum selbst die Abläufe und Entscheidungen Woelkis darstelle, habe es sich um eine „unentschuldbare Verfehlung im Amt“ gehandelt.
Woelki war von 2003 bis 2011 Weihbischof in Köln und gehörte in dieser Funktion der Personalkonferenz des Erzbistums an. Im Herbst 2018 gab er, nun als Erzbischof von Köln, das Gutachten zum Umgang der Bistumsverantwortlichen mit Missbrauchsfällen bei einer Münchner Anwaltskanzlei in Auftrag. Zur Wahrung der Unabhängigkeit soll auch Woelki als Auftraggeber von den Ergebnissen nichts vorab erfahren. Die für 12. März 2020 angesetzte Präsentation wurde kurzfristig abgesagt. Die geplante Nennung ehemaliger oder aktiver Entscheidungsträger sei noch rechtlich abzusichern, so die damalige Begründung.
rwm/kna