Kirchenrechtler: Staat darf Gottesdienste einschränken

In der Debatte um Weihnachtsgottesdienste in der Corona-Pandemie rät der Göttinger Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig den Kirchen zur Gelassenheit.
Bonn – In der Debatte um Weihnachtsgottesdienste in der Corona-Pandemie rät der Göttinger Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig den Kirchen zur Gelassenheit. Der Staat dürfe das Recht auch gegenüber religiösen Akteuren durchsetzen. "Das heißt im Zweifel, so hart das ist, dass nach Ostern auch an Weihnachten Präsenzgottesdienste ausfallen müssen", sagte der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland am Dienstag im Interview mit domradio.de. "Es gehört zur Normalität des Rechtsstaates, dass auch der religiöse Bereich vom Infektionsschutzrecht erfasst wird."

(Foto: Judith Lorenz)

In der Debatte um Weihnachtsgottesdienste in der Corona-Pandemie rät der Göttinger Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig den Kirchen zur Gelassenheit. Der Staat dürfe das Recht auch gegenüber religiösen Akteuren durchsetzen. „Das heißt im Zweifel, so hart das ist, dass nach Ostern auch an Weihnachten Präsenzgottesdienste ausfallen müssen“, sagte der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland am Dienstag im Interview mit domradio.de. „Es gehört zur Normalität des Rechtsstaates, dass auch der religiöse Bereich vom Infektionsschutzrecht erfasst wird.“

Kirche bestehe nicht nur aus gottesdienstlichen Versammlungen

Heinig betonte, die Kirche bestehe nicht nur aus gottesdienstlichen Versammlungen. „Die Kirche und damit letztlich alle Gottesdienstbesucher verantworten zugleich Krankenhäuser und Altenheime.“ Alle Bürger, die sich als Christen verstehen, täten gut daran, das Wohlergehen von Patienten, Altenheimbewohnern, Ärzten und Pflegepersonal im Blick zu behalten. „Und das heißt eben auch, auf den liebgewordenen Heiligabend-Gottesdienst in traditioneller Form zu verzichten, damit, überspitzt gesagt, die Intensivstation im kirchlichen Krankenhaus nicht kollabiert.“

Grundsätzlich werde die Religionsfreiheit im deutschen Recht nicht grenzenlos gewährt, betonte der Experte für Staatskirchenrecht. Zum Schutz von Grundrechten Dritter und anderen Verfassungsgütern könne sie eingeschränkt werden, sogar massiv. Der Gesetzgeber müsse sich nicht einfach die religiöse Logik zu eigen machen. „Er verfolgt einen legitimen Zweck, den Infektionsschutz, und betrachtet das Geschehen aus dieser säkularen Perspektive.“ Natürlich gebe es dabei Grenzen. So dürfe der Staat sich kein Urteil darüber erlauben, ob die Kommunion wichtig sei oder nicht.

Unterschiedliche religionspolitische Strategien

Insgesamt beobachtet der Jurist sehr unterschiedliche religionspolitische Strategien in Deutschland: Manche Regierungen betonten stärker, dass Religion ein Politikfeld wie jedes andere sei. Andere versuchten – wie in der guten alten Bundesrepublik – die Probleme durch Aushandlung zu lösen. „Das ist ein freiheitsschonender Weg, der gut funktioniert, wenn der Staat auf religiöser Seite verlässliche Partner hat“, sagte Heinig. Mittlerweile sei die religiöse Landschaft aber ausgesprochen vielfältig und unübersichtlich geworden. „Da kann ich auch verstehen, dass man in der Logik des Infektionsschutzes andere Wege geht.“

In der großen Tendenz sieht Heinig eine immer stärkere säkulare Prägung der Gesellschaft. „Die Räume für religiöse Autonomie werden kleiner. Weltliche Rechtsgüter bekommen in Konkurrenz zu religiösen Freiheitsinteressen größeres Gewicht.“ Diese Entwicklung habe lange vor Corona eingesetzt. Aus Sicht des Staatskirchenrechtlers sind die staatskirchenrechtlichen Folgelasten der Corona-Krise für die Institution Kirche aber Kleinigkeiten. Die großen Herausforderungen lägen jenseits der Folgen von Corona: Das seien die Erosion der Mitgliederschaft, der fortschreitende Traditionsabbruch oder das Aufarbeiten eigenen Versagens etwa beim Missbrauchsthema.

kna