Berlin – Die Polizei hat 2020 so viele judenfeindliche Angriffe festgestellt wie zuletzt im Jahr 2001. Für das vergangene Jahr seien „bisher insgesamt 2.275 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund“ gemeldet worden, berichtet die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) und ihrer Fraktion. Bei 55 Delikten handelt es sich demnach um Gewalttaten, so Tagesspiegel-online (Donnerstag).
Die Polizei konnte laut Antwort der Bundesregierung 1.367 Tatverdächtige ermitteln. Fünf Personen seien festgenommen worden, Haftbefehle habe es keine gegeben. Die Zahl der Straftaten werde wahrscheinlich noch steigen, da die Polizei erfahrungsgemäß noch Delikte aus dem Vorjahr nachmeldet.
Zentralrat der Juden besorgt
Der Zentralrat der Juden zeigte sich über die Entwicklung besorgt. „Angesichts der zahlreichen antisemitischen Vorfälle auf den Corona-Leugner-Demos im vergangenen Jahr und der Verschwörungsmythen im Netz war leider damit zu rechnen, dass die Zahl der antisemitischen Straftaten erneut steigt“, sagte Präsident Josef Schuster der Zeitung. Jetzt sei das traurige Gewissheit. Die vorläufige Statistik zeige, dass die Radikalisierung der Gesellschaft voranschreite und der Respekt vor Minderheiten sinke, so Schuster.
Mit Bestürzung reagierte auch der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, auf die Statistik. Der Anstieg „muss uns eine Warnung sein“, sagte Klein. Im Zuge der sogenannten Corona-Proteste seien Grenzen des Sagbaren verschoben, die Schoah relativiert und altbekannte antisemitische Hassbilder erneuert worden. Die Zunahme der Straftaten sei „ein deutliches Zeichen, dass die Demokratie sich besonders in Krisen wie der andauernden Pandemie wehrhaft zeigen muss“. Der gesellschaftliche Zusammenhalt „misst sich gerade hier in Deutschland daran, wie fest wir gegen Judenhass zusammenstehen“, mahnte Klein.
Zumeist rechte Täter
Aus Sicht der Polizei sind die meisten antisemitischen Delikte demnach rechten Tätern zuzuordnen. Islamistische, linke und anders motivierte Antisemiten seien in der Statistik nur eine kleine Minderheit. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, erklärte dazu, „Antisemitismus und Judenhass waren und sind aus Deutschland nie verschwunden“. Diese schmerzliche Wahrheit beweise ein Blick auf die erschütternden Zahlen judenfeindlicher Delikte in Deutschland. Sie zeugten einmal mehr in aller Deutlichkeit von den großen Gefahren, denen Jüdinnen und Juden alltäglich ausgesetzt seien.
Der steigenden Zahl von Vorfällen auf Corona-Demos, der zunehmenden Verbreitung kruder antisemitischer Verschwörungsideologien, Hass und Hetze vor allem auch in den Sozialen Medien müsse umgehend mit allen rechtsstaatlichen Mitteln Einhalt geboten werden. Es brauche „endlich einen wachen, entschlossenen und wehrhaften Rechtsstaat, scharfe strafrechtliche Konsequenzen, eine gesellschaftliche Null-Toleranz-Strategie gegen jedwede Form des Antisemitismus und den gezielten Einsatz gegen die weitere Extremisierung weiter Teile der Gesellschaft“.