Wer sind „die Wächter der Tradition“? Das Papstdokument „Traditionis custodes“ hat unter Frankreichs katholischen Traditionalisten für viel Aufregung gesorgt. Ihren Unmut haben sie in mehrere Antwortschreiben gegossen – von unterschiedlicher Schärfe.
Paris – Seit jeher ist Frankreich eine Hochburg des katholischen Traditionalismus. Die oft großbürgerlichen Anhänger der vorkonziliaren Liturgie sind dort stark vertreten und haben in ihrer Kirche ohne Kirchensteuer häufig auch wirtschaftlich Gewicht. Die jüngste Absage von Papst Franziskus an die sogenannte Alte Messe hat sie stark getroffen. Jeweils mehrere ihrer Gemeinschaften haben sich nacheinander – und in unterschiedlicher Schärfe – zu Wort gemeldet.
Zunächst baten Vertreter von zwölf traditionalistischen Ordensgemeinschaften und Einrichtungen die Bischöfe Frankreichs um Vermittlung. In einem Brief erklärten sie, das Schreiben des Papstes sei für sie Anlass zu „großer Sorge“ und „großem Leid“; sie fühlten sich „verdächtigt, ausgegrenzt, verbannt“. Angesichts der sehr restriktiven Entscheidung des Papstes, die Feier der vorkonziliaren Liturgie einzuschränken, sprechen sie sich für „einen menschlichen, persönlichen Dialog in gegenseitigem Vertrauen, ohne Ideologien oder die Kälte von Verwaltungsdekreten“ aus. Die französischen Bischöfe sollten dafür einen Vermittler ernennen, der „das menschliche Gesicht dieses Dialogs“ sein solle.
Die neun Unterzeichner und drei Unterzeichnerinnen betonen, ihr Schreiben sei kein Forderungskatalog, sondern appelliere an einen „Geist der Einheit“ und spreche sich für einen „Tonwechsel“ in der Sache aus. Sie räumen ein, wo ein „Geist von Parteiung oder des Stolzes unsere Herzen befleckt“ habe, sei man „zur Umkehr bereit“. Man fühle sich dem seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) entwickelten Lehramt „voll zugehörig“. Zu den unterzeichnenden traditionalistischen Instituten gehören unter anderen die Petrusbruderschaft, die Kanoniker von Lagrasse und die Mönche der Abtei Le Barroux in Südfrankreich.
In seinem Erlass „Traditionis custodes“ hatte Franziskus Mitte Juli die „ordentliche Form“ der Messe als „einzige Ausdrucksweise“ des Römischen Messritus festgelegt. Die 2007 von Benedikt XVI. in größerem Umfang erlaubte außerordentliche Form von 1962 darf künftig nur noch mit ausdrücklicher Erlaubnis des Ortsbischofs gefeiert werden. Der Erlass zielt nach den Worten des Papstes darauf ab, einer kirchenpolitischen Instrumentalisierung der sogenannten Alten Messe für eine Spaltung der Kirche zu begegnen. Verteidiger der traditionellen Liturgie beklagen neben dem Inhalt des Dokuments auch den strengen Ton von Franziskus.
Als Traditionalisten werden Katholiken bezeichnet, die sich gegen die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) wenden. Zu unterscheiden ist zwischen Gruppierungen, die sich in kämpferischem Widerspruch zur nachkonziliaren Kirche sehen, und denen, die zwar traditionalistisch denken, aber mit dem Papst verbunden bleiben wollen.
Zu letzteren gehört die Priesterbruderschaft Sankt Petrus, die 1988 auf Initiative von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) gegründet wurde. Die Petrusbruderschaft soll traditionalistischen Katholiken eine Heimat bieten und sie in die Kirche integrieren. Weitere Vertreter dieser Strömung sind die Una-Voce-Bewegung oder die Abtei Le Barroux. Darüber hinaus gibt es in etlichen Ländern einzelne Kirchen und Pfarreien, die regelmäßig Messfeiern im Ritus des Messbuchs von 1962 anbieten.
Ein späteres Schreiben weiterer kirchlicher Gruppen fiel weit weniger gemäßigt aus. In einem offenen Brief „an die Katholiken in aller Welt“ werfen sie Franziskus eine böswillige Zerstörung des Versöhnungswerkes von Benedikt XVI. sowie „Brutalität und Unnachgiebigkeit“ vor. Der emeritierte Papst müsse das noch miterleben. Denn: „Nach dem ausdrücklichen Willen von Papst Franziskus (…) soll die Feier der Messe der Tradition der Kirche verschwinden.“
Unterschrieben ist der Brief unter anderem von den Organisationen Renaissance Catholique, Paix Liturgique, Le Salon Beige und SOS Chretiens d’Orient. Sie fordern den Papst auf, seine Anordnung wieder zurückzunehmen, und erklären „feierlich vor Gott und den Menschen“, sie ließen nicht zu, dass irgendjemand der Kirche und ihrer nachfolgenden Generation „diesen Schatz des Glaubens vorenthält“.
Schließlich bekehre die Alte Messe „viele Seelen“, ziehe junge und glaubenseifrige Menschen an, habe Seminare, Ordensgemeinschaften und Klöster hervorgebracht und sei „Rückgrat für viele Schulen, Jugendgruppen, Glaubensvermittlung, Exerzitien und Pilgerfahrten“. Ihre drastische Einschränkung aus Rom sei Vorbote einer „Rückkehr eines qualvollen Liturgie-Kriegs in der Christenheit“.
Auch in den sozialen Netzwerken wird das Thema heiß diskutiert. Ein Kommentator dort argumentierte, in der Logik von „Traditionis custodes“ sei Benedikts XVI. „Hermeneutik der Kontinuität“ falsch und die nachkonziliare „Neue Messe“ etwas Neues, das mit der ungebrochenen Tradition der Kirche breche.
Unterdessen hat der Pariser Erzbischof Michel Aupetit den Priestern der Hauptstadt die „Ausführungsbestimmungen“ zu dem Papstschreiben mitgeteilt. Absicht des Papstes sei, „der Einheit des Leibes Christi zu dienen“, betont er, und: „Es geht nicht darum, liturgische Streitigkeiten zu entfachen, sondern um das Wohl der Gläubigen, die an der alten Form hängen. Der Bischof muss Vorkehrungen treffen, damit sie an diesen Liturgien teilnehmen können, ohne befürchten zu müssen, vom Leben und Glauben der Kirche abgeschnitten zu werden.“
Konkret reduziert Aupetit die Zahl der Pariser Gotteshäuser, in denen die Messe nach dem sogenannten Messbuch von Johannes XXIII. gefeiert wird, von bislang zwölf auf fünf. Die Zelebranten müssen von ihm eine schriftliche Genehmigung erhalten haben, und: „Um die Gemeinschaft weiter zu fördern, hoffe ich, dass diese berufenen Priester offen für beide Messbücher sind.“ Auch sollen die Lesungen in der offiziellen liturgischen Übersetzung von 2013 und auf Französisch erfolgen.