Benedikt und seine Freunde: Medienauftritte gehen über Verteidigung hinaus

Nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens war Benedikt XVI. in der Defensive. Er musste Angaben korrigieren und sich gegen Vorwürfe wehren. Mit ungewöhnlichen Medienauftritten gehen seine Unterstützer jetzt in die Offensive. Um die Missbrauchsbetroffenen geht es kaum.
Nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens war Benedikt XVI. in der Defensive. Er musste Angaben korrigieren und sich gegen Vorwürfe wehren. Mit ungewöhnlichen Medienauftritten gehen seine Unterstützer jetzt in die Offensive. 

–Foto: © Miqu77 | Dreamstime.com<

Ob es an der Kritik lag, die Kommunikation von Benedikt XVI. und seinen Beratern rund um das Münchner Missbrauchsgutachten sei – vorsichtig formuliert – eher suboptimal gewesen? Oder ob die Freunde, bei denen sich der frühere Papst so herzlich bedankt hat in seiner zweiten Stellungnahme, gerne raus wollten aus der Dauer-Verteidigungs-Rhetorik rund um die Frage, wer wann was zum Thema Missbrauch wusste oder nicht? Man wird es wohl nie erfahren.

Doch was auch immer ausschlaggebend gewesen sein könnte – auffällig ist in den letzten Tagen, dass Benedikts Freunde medial in die Offensive gehen. Verbunden mit der ein oder anderen Attacke – gegen die Medien, gegen die Gutachter, gegen einige deutsche Bischöfe und gegen das gesamte Reformprojekt Synodaler Weg in Deutschland.

Ungewöhnlich dabei ist die mediale Begleitmusik in der konservativ-katholischen Szene. Etwa dass das weltweite Medien-Netzwerk EWTN schon am Sonntag erste Häppchen aus einem großen Interview mit Erzbischof Georg Gänswein veröffentlichte – mit dem Hinweis, das komplette Gespräch sei in der Nacht zu Dienstag ab 0.15 Uhr im Netz abrufbar. Ausdrücklich wurde das Interview angekündigt als Reaktion auf die “tendenziöse Medienberichterstattung der jüngsten Zeit”, wobei Gänswein mit den Worten zitiert wurde: “Benedikt XVI. ist der Vater der Transparenz.”

Kurz darauf zog der Sender K-TV nach und warb ebenfalls für ein ausführliches Interview – mit Stefan Mückl, Professor für Kirchenrecht an der vom Opus Dei getragenen Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom. Er war einer der vier Rechtsexperten, die Benedikt XVI. rund um das Münchner Missbrauchsgutachten beraten und kürzlich eine eigene Stellungnahme als “Faktencheck” veröffentlicht hatten, zusätzlich zur zweiten Einlassung des Ex-Papstes. Auch hier gab es erste Auszüge vorab, verbunden mit dem Hinweis, das ganze Gespräch sei am Abend zu sehen oder – online first – ab Mittag auf Youtube.

Und worum ging es inhaltlich? Gänswein wie Mückl gingen nochmals auf die Vorwürfe ein, erklärten das Zustandekommen der Stellungnahmen und der falschen Aussage über die Teilnahme des damaligen Erzbischofs Joseph Ratzinger an einer Sitzung 1980. Und sie verteidigten ihn auch mit dem Hinweis, damals sei gar nicht über Missbrauch gesprochen worden.

So weit – so bekannt. Doch die Fragen des EWTN-Interviewers und der K-TV-Interviewerin führten Gänswein und Mückl heraus aus der defensiven Haltung. Und so kritisierte etwa der Privatsekretär des früheren Papstes insbesondere in Deutschland “eine maßlose Voreingenommenheit” und teils “maßlose Unkenntnis der Fakten”. Man wolle Benedikt XVI. “an den Karren fahren”.

Zur Frage nach der politischen Dimension des Gutachtens sagte Gänswein, man könne spekulieren, ob der Zeitpunkt der Veröffentlichung mit dem Synodalen Weg in Deutschland zusammenhänge. Klar sei aber, dass die Reformdebatte “auf etwas zielt, dem die Person Benedikts im Wege steht”. Es sei eine Gefahr, den Missbrauch herzunehmen, um einen Weg zu eröffnen, der “nicht mit der Offenbarung und dem katholischen Kirchenverständnis vereinbar” sei.

Mückl dagegen nahm sich neben den “deutschen Leitmedien” vor allem die Gutachter der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) vor und sprach ihnen die fachliche Kompetenz ab, insbesondere in kirchenrechtlichen Fragen: “Das sogenannte Gutachten ist eine Anklageschrift”, so Mückl, und die angeführten “Tatsachen und Indizien” seien so schwach, dass sicher kein Gericht zu einer Verurteilung käme.

In dieselbe Kerbe schlug auf dem Portal kath.net der Rechtsanwalt Lothar C. Rilinger, der dort ansonsten regelmäßig Interviews mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller veröffentlicht. Diesmal aber richtete er den Blick auf die Juristenkollegen von WSW und schrieb unter anderem: “Die (kirchensteuerfinanzierte) Beweisführung in Sachen Benedikt ist schlicht und einfach eines Anwaltes unwürdig.” Unter anderem, so Rilinger, hätten die Gutachter “Benedikt zeitlich unter Druck gesetzt” und dadurch dessen Verteidigungsmöglichkeiten “bewusst und unangemessen beschnitten”.

Darüber hinaus spekulierte der Jurist über Kardinal Reinhard Marx als Auftraggeber des Gutachtens und dessen Engagement für viele Reformforderungen des Synodalen Weges. Vielleicht stecke hinter dem Gutachten ja das Ziel, “Benedikt als Person zu desavouieren und ihn als Theologen und Philosophen mundtot zu machen, damit er mit seiner Stimme nicht mehr die Heilserwartung durch den ‘Synodalen Weg’ in Frage stellen kann”.

Am 1. Februar übrigens hatte kath.net zuletzt ein Rilinger-Interview mit Kardinal Müller zu Benedikt XVI. veröffentlicht. Darin hatte Müller den Kritikern unter anderem “Respektlosigkeit gegenüber einem um Kirche und Gesellschaft höchst verdienten Menschen und Christen” vorgeworfen. Er sprach zudem von einem “Offenbarungseid der eigenen Absichten, die in der maßlos wahnsinnigen Rufmordkampagne gegen ihn erfüllt worden sind”.

Aktuell legte Kardinal Müller in einem Exklusiv-Interview des zu EWTN gehörenden “National Catholic Register” nach mit massiver Kritik an Entwicklungen in der Kirche im deutschsprachigen Raum. Unter anderem forderte er ein “besseres, theologisch gebildetes Episkopat”, ohne dabei Namen zu nennen: “Sie relativieren den katholischen Glauben, aber behalten ihre Titel – Kardinäle, Bischöfe, Theologieprofessoren. Doch in Wirklichkeit glauben sie nicht, was die Kirche sagt.”

Die Segnung homosexueller Verbindungen etwa, wie sie der Synodale Weg mehrheitlich unterstütze, sei “in jedem Fall eine Blasphemie”. Auch die ebenfalls gefordert Weihe von Frauen zu Diakoninnen sei unmöglich. Darüber hinaus verteidigte Müller neben Benedikt XVI. ausdrücklich den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und den Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Diese hätten “die meisten Maßnahmen gegen diese Missbräuche ergriffen”. Andere dagegen hätten große Fehler gemacht, würden aber “nicht kritisiert, weil sie zu dieser ideologischen Gruppe der Selbstsäkularisierung gehören”.

Über diese Beispiele hinaus waren es etwa Theologen, Bischöfe und Kardinäle aus der römischen Kurie, aus Italien, Tschechien und Polen, die Benedikt XVI. in den letzten Tagen gegen die Kritik aus Deutschland verteidigten. Dabei hoben sie vor allem hervor, dass der frühere Papst in seiner Amtszeit sehr entschieden gegen Missbrauch vorgegangen sei. Zudem werten sie – anders als viele Betroffene in Deutschland – Benedikts persönlichen Brief als ehrliches Zeichen der Demut und der Übernahme von persönlicher Verantwortung.

Die Debatte ist noch lange nicht zu Ende. Und sicher wird es noch viele Wortmeldungen in die eine wie in die andere Richtung geben. Geht es doch auch darum, welches Bild bleiben wird vom Lebenswerk eines fast 95-Jährigen, der in seinem Brief selbst schrieb, er werde nun bald “vor dem endgültigen Richter” seines Lebens stehen – und das mit großem Gottvertrauen: “Auch wenn ich beim Rückblick auf mein langes Leben viel Grund zum Erschrecken und zur Angst habe, so bin ich doch frohen Mutes, weil ich fest darauf vertraue, dass der Herr nicht nur der gerechte Richter ist, sondern zugleich der Freund und Bruder.”

Und die Missbrauchsbetroffenen? Sie scheinen bei diesen Auftritten der Benedikt-Freunde nicht im Blick zu sein. Und damit auch nicht die Tatsache, dass es ja Misstrauensbetroffene waren, die sich über die Art und Weise des jüngsten Ratzinger-Schreibens äußerst enttäuscht zeigten. So hatte etwa der Sprecher des Münchner Betroffenenbeirats, Richard Kick, erklärt: „Ich bin nur noch bestürzt und betroffen.“ Hier kenne ein ehemaliger Papst nur seine eigene Sichtweise und flüchte sich zuletzt in den Glauben, dass der „endgültige Richter“ über ihn befinden werde.

Von Gottfried Bohl (KNA)