Deutscher Wandertag mit 70 inklusiven Events

Wandern gehört zu den beliebtesten Freizeit- und Urlaubsbeschäftigungen. Menschen mit körperlichen Einschränkungen haben dabei oft das Nachsehen. Der Deutsche Wandertag möchte nun ein Zeichen setzen.

Angelika Prauß

Deutscher Wandertag mit 70 inklusiven Events

Symbolbild von Steven Weirather auf Pixabay

Steile Anstiege, Stufen, schmale Durchgänge, fehlende barrierefreie Toiletten, unzureichende Beschilderung – es sind viele Dinge, die Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen behindern, ihre Freizeit draußen aktiv zu genießen. Der Deutsche Wandertag möchte ein Zeichen setzen: Im 121. Jahr seiner Ausrichtung lädt das nach eigenen Angaben weltweit größte, vom 3. bis 7. August stattfindende Wanderevent erstmals auch gehandicapte Menschen ein, in diesem Jahr ins baden-württembergische Remstal und nach Fellbach.

Damit sollen “neue Maßstäbe” in Richtung Teilhabe gesetzt werden. Unter den 200 geführten Wanderungen und weiteren, rund 200 begleitenden Veranstaltungen der beteiligten 21 Orte, sind rund 70 inklusive Events. Dazu zählen eine Stadtführung in Leichter Sprache und kleinere Strecken im zwischen Weinbergen gelegenen Tal, die barrierearm und “berollbar” sind. Einige Projekte seien zum Deutschen Wandertag erstmals realisiert worden und hätten in punkto Inklusion “vielen Kommunen noch mal einen Schub gegeben”, erklärt Angela Ehrlich, die den Deutschen Wandertag in Fellbach mitorganisiert.

Zahlreiche inklusive Angebote und speziell geschulte Wanderbegleiter

Zum Programm gehören auch maßgeschneiderte Angebote für Menschen mit Sinneseinschränkung: spezielle Führungen und Wanderungen für Sehbehinderte, Tastmodelle für Blinde und von einem Gebärdendolmetscher begleitete Touren. Die inklusiven Angebote seien in Kooperation mit der örtlichen Diakonie und einer Einrichtung für hörgeschädigte Menschen entwickelt worden, berichtet Ehrlich. Zudem können Menschen mit einem besonderen Unterstützungsbedarf am Wandertag 30 speziell geschulte Wanderbegleiter kostenlos buchen.

Wandern für alle” – beim Schwäbischen Albverein, der den diesjährigen Deutschen Wandertag ausrichtet, und beim Deutschen Wanderverband sei das ein wichtiges Thema, erklärt Hans-Ulrich Rauchfuß, Präsident beider Verbände. “Menschen mit Beeinträchtigung verbringen ihre Freizeit genauso gerne in der Natur wie alle anderen Menschen auch”, erklärt er das Engagement. Bereits seit 2013 organisiere der Schwäbische Albverein Wanderungen für Menschen, die mit Demenz und anderen kognitiven Einschränkungen leben und deren Angehörige.

Wenige Monate vor dem Deutschen Wandertag wurden zwei weitere Wege vom Deutschen Seminar für Tourismus (DSFT) in Berlin als “barrierearm” zertifiziert, darunter der 3,8 Kilometer lange “Besinnungsweg” in Fellbach-Oeffingen. Damit gehören sie zum bundesweiten Label “Reisen für alle”, ein Teil des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Um dieses, in Kooperation von Betroffenen- und Tourismusverbänden entwickelte Qualitätssiegel zu bekommen, müssen Wege beispielsweise mehr als 1,80 Meter breit, leicht begeh- und befahrbar sein und dürfen nicht zu steil sein. Sogar der Bohlen-Abstand bei Holzstegen muss Mindeststandards erfüllen. Allein im Remstal gibt es nun neun zertifizierte Wege.

Bentele: “Barrierefreiheit wird leider noch nicht mitgedacht.”

DSFT-Geschäftsführer Ralf Schrader betont, dass es bei der Zertifizierung aber um weit mehr gehe. “Die gesamte Servicekette” – auch Gastronomie, Unterkunft, An- und Abreise – müssten dabei mitgedacht werden. Nur dann eigne sich das Angebot wirklich, so Schrader.

Bislang seien 179 Wege vom DSFT zertifiziert worden. Spitzenreiter sind 58 Routen in Bayern, gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen; Bundesländer wie Sachsen, Brandenburg und Baden-Württemberg haben laut Schrader im vergangenen Jahr das System “Reisen für Alle” eingeführt und verfügten dadurch erst über wenige bewertete Wege. Eine Besonderheit des Zertifizierungssystems sei, dass jedes Angebot – auch wenig barrierefrei konzipierte Wanderwege – ausgezeichnet werde, um gehandicapten Menschen einen realistischen Eindruck von den Gegebenheiten vor Ort zu geben.

Verena Bentele, bis 2018 die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, sieht noch großen Nachholbedarf in punkto Inklusion im Freizeitbereich. Hierzulande werde diese “leider noch nicht selbstverständlich mitgedacht”. Es gebe zwar oft Einzelmaßnahmen und Projekte, aber keine umfassende Einbeziehung der Barrierefreiheit, kritisiert die Präsidentin des Sozialverbandes VdK im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Das finde ich sehr schade und störend, schließlich hat jeder Mensch das Recht auf Teilhabe und auf ein gemeinsames Erleben mit Nichtbehinderten.”

Erst 65 Kilometer Wanderwege sind barrierefrei

Oft würden Wege als “leicht begehbar” und “familienfreundlich” angekündigt. Sie gehe dann davon aus, dass diese mit dem Kinderwagen oder Rollstuhl befahrbar seien, erklärt Bentele. “Das ist leider nicht immer so – es liegen dann doch irgendwo große Steine auf dem Weg.” Deshalb findet die mehrfache Paralympics-Siegerin, die von Geburt an blind ist, Initiativen wie den inklusiven Wandertag “wirklich wichtig”. Bei der gemeinsamen Bewegung komme man “ganz unverkrampft miteinander ins Gespräch – eine wirklich schöne Möglichkeit, den anderen kennenzulernen und erste gemeinsame Erfahrungen zu sammeln”.

Angela Ehrlich hofft deshalb, dass die Inklusionsidee eine “Initialzündung für alle weiteren Wandertage” werde. Zugleich gibt sie zu bedenken, wie schwer es sei, dass eine Strecke als wirklich “barrierefrei” zertifiziert werden kann. Die nötigen Kriterien seien eher in flachen Gefilden wie dem Rheinland oder der Lüneburger Heide vorzufinden.

Laut Liane Jordan, Qualitätsmanagerin beim Deutschen Wanderverein in Kassel, gibt es in Deutschland rund 300.000 Kilometer Wanderwege – 200.000 von Wandervereinen betreute Strecken, 100.000 in Natur- und Nationalparks. Als komplett “barrierefrei” zertifiziert sind bundesweit erst neun Wege mit insgesamt 65 Kilometern. Ein Grund neben der hohen Kriterien: Die Strecken – wie der Wetzlarer Komfortweg mit 3 Kilometern und dem Literaturweg im fränkischen Wolframs-Eschenbach mit 2,2 Kilometern – seien in der Regel sehr kurz, “um keinen zu überfordern”, so Jordan.