Bischof Kohlgraf nennt Studie Meilenstein der Aufarbeitung

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat die am Vormittag vorgestellte Missbrauchsuntersuchung als „Meilenstein“ in der Aufarbeitung gewürdigt.

Mainz – Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat die am Vormittag vorgestellte Missbrauchsuntersuchung als "Meilenstein" in der Aufarbeitung gewürdigt. Zugleich erklärte Kohlgraf, die EVV-Studie sei nicht der Abschluss dieses Prozesses. Die Ergebnisse nannte der Bischof erschreckend. Die Studie sei vorwiegend aufgrund von Gesprächen entstanden: "Menschen, die selbst betroffen sind, und Menschen, die etwas wissen und erfahren haben, haben ihre Geschichte erzählt." Dazu gehöre Mut. Kleriker und andere hätten sich auf Kosten Anvertrauter großgemacht und "in vielerlei Hinsicht schrecklich missbraucht".

Bischof Peter Kohlgraf (Foto: Bistum Mainz)

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat die am Vormittag vorgestellte Missbrauchsuntersuchung als “Meilenstein” in der Aufarbeitung gewürdigt. Zugleich erklärte Kohlgraf, die EVV-Studie sei nicht der Abschluss dieses Prozesses. Die Ergebnisse nannte der Bischof erschreckend. Die Studie sei vorwiegend aufgrund von Gesprächen entstanden: “Menschen, die selbst betroffen sind, und Menschen, die etwas wissen und erfahren haben, haben ihre Geschichte erzählt.” Dazu gehöre Mut. Kleriker und andere hätten sich auf Kosten Anvertrauter großgemacht und “in vielerlei Hinsicht schrecklich missbraucht”.

Kohlgraf unterstrich, es habe in der Zeit der Kardinäle Karl Lehmann und Hermann Volk große Verfehlungen und Versäumnisse gegeben. Taten und Vergehen gehörten ebenso wie Wegsehen und Unfähigkeit zur Geschichte des Bistums. Dieses Versagen dürfe bei der Bewertung des Lebens der früheren Bischöfe nicht ausgespart werden: “Um der Wahrheit für die Betroffenen willen darf es keine unantastbaren Denkmäler mehr geben. Das gilt für Kardinäle und Bischöfe, das gilt auch für Denkmäler anderer Ebenen.” Auch andere Leitungspersonen, “ein ganzes System hat versagt”. Auch die Theologie hat teilweise versagt, “weil sie überhöhte Priesterbilder entwickelt und ausgebaut hat”. Kohlgraf will sich kommende Woche ausführlich äußern.

In Mainz war am Freitag das Missbrauchsgutachten des Bistums vorgestellt worden. Es trägt den Titel “Erfahren. Verstehen. Vorsorgen” (EVV) und untersucht nach Angaben der Autoren kirchlichen Gewalttaten vor allem systemisch. Die Studie bescheinigt den drei früheren Bischöfen Albert Stohr (1935-1961), Hermann Volk (1962-1982) und Karl Lehmann (1983-2016) einen verheerenden Umgang mit sexuellem Missbrauch. Dem amtierenden Bischof Peter Kohlgraf sprechen die Studienautoren Ulrich Weber und Johannes Baumeister die Bereitschaft zu, lernen und aufarbeiten zu wollen.

Nach Studie zum Bistum Mainz: Rufe nach mehr staatlicher Beteiligung

Vertreter aus der Bundespolitik haben die Missbrauchsstudie des Bistums Mainz gewürdigt. Zugleich riefen die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, und der religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, zu einer stärkeren staatliche Beteiligung an der Aufarbeitung an. Der Sprecher des Eckigen Tisches, Matthias Katsch, sprach von einem schwarzen Tag für die Reformkatholiken. Claus betonte auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), staatliche Verantwortungsübernahme brauche eine strukturelle Verbindlichkeit und die Möglichkeit, die Institutionen und die Gesellschaft in die Pflicht zu nehmen. Betroffene hätten ein Recht auf individuelle Aufarbeitung.

Castellucci erklärte, das Gutachten bestätige sowohl die bisher bekannten Dimensionen sexualisierter Gewalt im Rahmen der Kirchen als auch den mangelhaften Umgang damit. Insbesondere das jahrzehntelange fehlende Interesse an den Betroffenen und dem ihnen zugefügten Leid sei erschreckend. Auch das Dunkelfeld sei groß und noch nicht ausreichend erforscht, die Aufklärung müsse deshalb dringend weitergehen. Erneut bezeichnete er die “Gemeinsame Erklärung”, zu der sich die Bischofskonferenz vor drei Jahren verpflichtet hat und die unter anderem das Einsätzen von Aufarbeitungskommissionen und Betroffenenräten beinhaltet, als unzureichend. Sie enthalte entscheidende Konstruktionsfehler.

Notwendig sei nach den Erfahrungen mit den unterschiedlichen Gutachten und deren Handhabung eine Gesamtstudie “mit einem verbindlichen und überprüfbaren Rahmen für die Aufarbeitung in ganz Deutschland bis 2025, damit auch wieder nach vorne geschaut werden kann”. Auch eine unabhängige und ausreichend ausgestattete Selbstorganisation der Betroffenen sei dringend erforderlich, um die nötige Augenhöhe mit den Kirchenvertretern zu schaffen.

Betroffenensprecher: Missbrauch viel größer sei als bisher angenommen

Katsch betonte, das Gutachten zeige, dass das Ausmaß von Missbrauch viel größer sei als bisher angenommen. Die Untersuchung dürfe kein Endpunkt sein, sagte er der KNA weiter. Sie habe “eindrucksvoll die Notwendigkeit einer unabhängigen Aufarbeitung vor Augen geführt”. Katsch appellierte an den Mainzer Landtag, eine unabhängige Aufarbeitungskommission für diese und andere Bistümer in dem Bundesland einzurichten. Man könne die Kirche damit nicht alleine lassen.

rwm/kna