Taize – damit verbinden viele Christen vor allem die berühmten Gesänge der 70er Jahre. Viele von ihnen stammen aus der Feder von Jacques Berthier – der sich selbst zurücknahm, um doch etwas ganz Eigenes zu schaffen.
Taize (KNA) Ist es seine Herkunft aus dem burgundischen Auxerre, die Jacques Berthiers Musik so gut zu Taize passen ließ? Vor allem war es wohl seine Bereitschaft, als Komponist auf die große Geste zu verzichten und stattdessen einfache, eingängige Melodien im Dienst von Liturgie und Gebet zu schaffen. Die Gesänge der ökumenischen Gemeinschaft von Taize in Burgund haben seit den 1970er Jahren Kirchengeschichte geschrieben. Ihr Schöpfer war nicht allein Jacques Berthier. Doch vor allem mit seinem Namen sind Gesänge wie „Bleibet hier und wachet mit mir“ oder „Laudate omnes gentes“ verbunden. Vor genau 100 Jahren, am 27. Juni 1923, wurde er geboren.
Die Kirchenmusik wurde ihm buchstäblich in die Wiege gelegt. Vater und Mutter waren in Auxerre selbst Organisten und Chorleiter; Jacques‘ Kinderbett stand an der Wand neben dem Musikzimmer des Vaters. Hoch oben auf der Orgelempore und zwischen Kirchenchören wuchs der Junge auf; und er heiratete auch wieder in eine Kirchenmusikerfamilie. Bei seinem Schwiegervater studierte er nach dem Krieg und wurde 1953 (unbezahlter) Organist an der Bischofskirche von Auxerre. Und obwohl er Mitte der 50er Jahre das Kurzwarengeschäft seines Onkels übernehmen musste, wollte Berthier doch immer seiner eigentlichen Profession nachgehen.
Eine Chance kam, als ihn 1955 der Jesuit und Psalmenexperte Joseph Gelineau (1920-2008) um Antiphonen bat – Berthiers erste Auftragskomposition und Veröffentlichung. Gelineau stand auch in Kontakt zur noch jungen Gemeinschaft von Taize, die schon damals mit dem Wunsch einfacher Kompositionen auf Berthier zuging. Doch der war einfach zu katholisch, so berichtete er später selbst amüsiert. Es wäre ihm damals schlicht noch nicht in den Sinn gekommen, für eine protestantische, wenn auch höchst ökumenisch gesinnte Gemeinschaft zu arbeiten. So fragte er bei seinem Erzbischof um Erlaubnis an, der ihm antwortete: „Zögern Sie nicht, das ist sehr gut!“
Die eigentliche Geburtsstunde der „Gesänge von Taize“ war das sogenannte Konzil der Jugend im Sommer 1974. Die Gemeinschaft stellte fest, dass der gemeinsame Gesang von Tausenden Jugendlichen aus vielen Ländern nicht gut funktionierte. Jede Nation brachte zwar ihre Gesangstradition und ihre geistlichen Lieblingsstücke mit – doch die Jugendlichen aus anderen Ländern mussten wegen fehlender Kenntnisse von Sprache oder Melodie meist stumm danebensitzen. Auch Übersetzungen klappten nicht gut. Es brauchte also gemeinsame Lieder für eine betende, internationale Jugend der 70er Jahre. Eile beim Komponieren war geboten.
Wichtigster Partner Berthiers dabei wurde der Taize-Bruder und Arzt Frere Robert Giscard (1923-1993), eins der ersten sieben Mitglieder der Kommunität und Cousin des früheren französischen Staatspräsidenten Valery Giscard d’Estaing. „Einige Kanons wurden sogar telefonisch diktiert“, erinnerte sich Berthier später. Sein wichtigstes Stilmittel für die Taize-Gesänge: das Ostinato, eine sich stetig wiederholende Melodie oder ein Rhythmus, zunächst immer mit lateinischem Text. Dazu wurden in der Oberstimme Soli in einer oder mehreren lebendigen Sprachen gestellt.
Berthier komponierte für Taize 284 Gesänge. Für andere Gemeinschaften schuf er Hymnen, Psalmen, Antiphonen und Responsorien, so für die Zisterzienser von Citeaux oder für den Papstbesuch 1986 – insgesamt rund 1.200 Titel. Immer blieb er der Komponist des Einfachen: „Ich bin sehr auf die Liturgie ausgerichtet“, sagte er am Ende seines Lebens: „Ich weiß nicht, wozu das nützen sollte, Konzertstücke für meine Organistenkollegen zu schreiben, die davon schon eine Menge haben.“ Berthier kritisierte die Kompliziertheit zeitgenössischer liturgischer Musik.
Wie sein Vater sammelte auch er auf dem Land Volkslieder mit eingängigen Melodien und schrieb sie auf. Das trug Früchte: „Einmal sagte ein Mönch zu mir, dass manche meiner Hymnen nach Pilzen schmecken.“ Gleichwohl räumte der anspruchsvolle Ästhet ein, dass er oft enttäuscht und traurig war, wenn er seine Lieder gesungen hörte: „Bisweilen höre ich schreckliche Gesänge; aber ich sehe, dass die Menschen beten. Also sage ich mir, dass es vielleicht nicht so schlecht ist.“ Jacques Berthier starb am 27. Juni 1994, in der Nacht zu seinem 71. Geburtstag, in Paris.