Versagen überschattet Wirken: Robert Zollitsch wird 85

Die Aufarbeitung von Robert Zollitschs Verantwortung im Missbrauchsskandal kam spät – dafür aber mit voller Wucht. Seit dem Bericht geraten Verdienste des Alterzbischofs in den Hintergrund. Nun wird er 85.
Die Aufarbeitung von Robert Zollitschs Verantwortung im Missbrauchsskandal kam spät - dafür aber mit voller Wucht. Seit dem Bericht geraten Verdienste des Alterzbischofs in den Hintergrund. Nun wird er 85.

–Foto: © Robert Zollitsch

Sein Porträt in der Bistumszentrale ist abgehängt, die staatlichen Orden hat der frühere Bischofskonferenz-Vorsitzende zurückgegeben. Und als erster Freiburger Erzbischof seit Jahrzehnten wird Robert Zollitsch nicht im Münster beigesetzt werden. Sein Lebenswerk, seine steile Kirchenkarriere und seine Verdienste als Vorsitzender der Bischofskonferenz sind zu seinem 85. Geburtstag am Mittwoch nur noch Randnotizen. Zu schwer wiegen sein Versagen im Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt durch Priester, seine Vertuschungsstrategien und der Schutz der Täter.

Im Detail offengelegt ist Zollitschs Handeln im Bericht zu Missbrauch und Vertuschung im Erzbistum Freiburg, den Experten im Frühjahr veröffentlichten. Die Dokumentation wirft dem langjährigen Freiburger Erzbischof vielfachen Rechtsbruch vor. So habe er es bewusst unterlassen, kirchliche Strafprozesse gegen Täter einzuleiten.

Am schwersten wiegt der Vorwurf, dass Zollitsch weitere sexualisierte Gewalt und Missbrauch erst ermöglicht habe. Indem er Beschuldigte oder Überführte nicht stoppte. Und stattdessen stillschweigend in andere Kirchengemeinden versetzte, wo erneut Minderjährige zu Opfern wurden. Den Betroffenen hörte Zollitsch nicht zu, sie fanden bei ihm keine Hilfen.

Nach langem Schweigen hatte sich Zollitsch Ende 2022 in einer Video-Erklärung an die Opfer gewandt. Er räumte schwere Fehler und moralische Schuld ein, ging aber nicht auf konkrete Fälle ein. Er habe das Ausmaß von Missbrauch und Leid unterschätzt. Daher bat er um Verzeihung – und fügte an, dass er wisse, keine Annahme dieser Entschuldigung erwarten zu können.

Eigentlich waren das klare Worte. Aber der Schluss des Videos verhinderte, dass die Öffentlichkeit das Schuldeingeständnis würdigte. Denn darin beschreibt sich Zollitsch als Aufklärer, der auch gegen Widerstände die Aufarbeitung voran gebracht habe – auch im Kontakt mit dem Vatikan. Der Missbrauchsbericht dokumentiert aber, dass er als Bischofskonferenz-Vorsitzender Regeln ignorierte – und beispielsweise dem Vatikan fast keine Täter meldete.

Nach der Emeritierung 2014 lebte Zollitsch zurückgezogen in seiner Wohnung hinter dem Münster. Vor wenigen Monaten zog er dann in ein betreutes Wohnen nach Mannheim, in die Stadt, in der er einen Teil seiner Kindheit verbracht hatte.

Geboren am 9. August 1938 in Filipovo im ehemaligen Jugoslawien, musste Zollitsch als Kind zusehen, wie Tito-Partisanen im November 1944 seinen Bruder und 200 weitere Dorfbewohner ermordeten. “Ich habe die schlimmen Erfahrungen von Krieg, Flucht und Vertreibung machen müssen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn bewaffnete Soldaten Mütter mit ihren Kindern zwingen wollen, auf einen Lastwagen zu steigen, um ins Lager deportiert zu werden. Und ich weiß auch, was es bedeutet, sich in fremder Umgebung eine neue Existenz aufbauen zu müssen”, berichtete er einmal.

Mit seinen Eltern floh Zollitsch nach Mannheim und dachte nach dem Abitur zunächst über ein Literatur- oder Geschichtsstudium nach. Die Berufung zum Priester war aber stärker. “Ich wollte anderen Menschen helfen, im Glauben ein sinnvolles Leben zu führen”, sagte er rückblickend. Seiner Liebe zur Literatur, etwa zu Heinrich Böll und Günther Grass, blieb Zollitsch treu.

20 Jahre lang war er Personalchef des Erzbistums Freiburg. Effizient organisierte er die Seelsorge. 2003 wurde er überraschend zum Bischof ernannt. Auch als Chef des Erzbistums erarbeitete er sich rasch einen guten Ruf als Organisator, auch über Bistumsgrenzen hinaus: Zollitsch übernahm den Posten des Finanzchefs im Verband der Diözesen (VDD), der bundesweit die gemeinsamen Gelder der Diözesen verwaltet.

2008 wählten ihn die Bischöfe zum Vorsitzenden ihrer Konferenz, nachdem Kardinal Karl Lehmann aus gesundheitlichen Gründen von dem Amt zurückgetreten war. Zollitsch kämpfte darum, christliche Werte als Grundlage gesellschaftspolitischer Entscheidungen zu wahren. “Christen dürfen sich nicht verstecken, sondern müssen die Gesellschaft mitgestalten. Antworten geben auf drängende Fragen wie jene nach der Bewahrung der Schöpfung oder der wachsenden sozialen Ungleichheit.”

Als Höhepunkt seiner kirchlichen Laufbahn beschrieb er den Besuch von Papst Benedikt XVI. 2011 in Freiburg. Seitdem haben sich Bild, Auftreten und Bedeutung der katholischen Kirche in Deutschland dramatisch verändert. So wie auch das öffentliche Bild Zollitschs.

Von Volker Hasenauer (KNA)