Köln. Es wird wohl eine Stunde bitterer Wahrheit über Versagen in der Kirche. Münchner Juristen haben im Auftrag des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki sämtliche Personalakten seiner Erzdiözese aus den vergangenen Jahrzehnten unter die Lupe genommen, um Fehler der Bistumsspitze im Umgang mit Missbrauchsfällen aufzudecken. Am Donnerstag kommender Woche legt die Münchner Kanzlei „Westpfahl Spilker Wastl“ die Ergebnisse vor. Die Untersuchung dieser Art ist ein Novum. In den Fokus geraten nicht nur ehemalige, sondern amtierende Amtsträger – nicht zuletzt Woelki selbst.
Dieser und andere Vertreter der Bistumsspitze werden laut Erzbistum zur Wahrung der Unabhängigkeit der Studie auch erst in der Pressekonferenz selbst erfahren, was bei den rund eineinhalb Jahren dauernden Recherchen herausgekommen ist. Und wie der Erzbischof darauf reagiert, wird für Journalisten wie Zuschauer der live gestreamten Pressekonferenz ein außerordentlicher Moment.
In Köln 135 Betroffene und 87 Beschuldigte laut DBK-Studie
Die Erhebung knüpft an die Missbrauchsstudie an, die die Bischofskonferenz im Herbst 2018 vorgelegt hatte. Danach fanden sich in den Kirchenakten der Jahre 1946 bis 2014 Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute. Für Köln verzeichnete die Untersuchung 135 Betroffene und 87 Beschuldigte. Daraufhin gab Woelki die weitere Expertise in Auftrag, um Fehler von Verantwortlichen sowie systemische Defizite aufzudecken. Die Anwälte sollten dabei auch prüfen, ob gegen staatliches und kirchliches Recht verstoßen wurde.
Der Untersuchungszeitraum reicht zurück bis in die Amtszeiten der Kölner Kardinäle Josef Frings (1887-1978), Joseph Höffner (1906-1987) und Joachim Meisner (1933-2017). Auf den Prüfstand kommen auch die jeweiligen Generalvikare als Leiter der Kirchenverwaltung und die Personalchefs, darunter Norbert Feldhoff. Der inzwischen 80-Jährige amtierte fast drei Jahrzehnte lang unter Höffner und Meisner als Generalvikar. Aber auch die Arbeit seiner Nachfolger, des heutigen Kölner Weihbischofs Dominikus Schwaderlapp und des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße, sind Gegenstand der Untersuchung. „Ob unser Handeln nach heutigen Maßstäben das beste war, wird sich zeigen“, sagte Heße, der von 2006 bis 2012 zudem die Personalabteilung geleitet hatte.
Bischöfe haben an Personalentscheidungen mitgewirkt
Über den Einsatz der Priester entschieden und entscheiden indes die gesamte Personalkonferenz, der auch die Weihbischöfe sowie Leiter des Kirchengerichts und des Priesterseminars angehören. In diesem Kreis haben einige emeritierte wie amtierende Bischöfe in Köln mitgewirkt, so auch Woelki als Kölner Weihbischof von 2003 bis 2011. Aber auch der heutige Berliner Erzbischof Heiner Koch, die früheren Bischöfe von Würzburg und Hildesheim, Friedhelm Hofmann und Norbert Trelle, sowie der inzwischen 92-Jährige Klaus Dick waren in Köln als Weihbischof tätig.
Aus dem Kreis der Hauptverantwortlichen der Erzdiözese hat sich bislang nur ein Geistlicher näher zum Thema geäußert: Feldhoffs Weggenosse Robert Kümpel (79). Der ehemalige Domkapitular war von 1984 bis 1996 Personalchef. Er wirft sich und früheren Verantwortlichen einen zu laxen Umgang mit Missbrauchstätern vor. Diese seien „sofort aus dem Dienst herausgenommen“ und „ausnahmslos zu einem namhaften Psychotherapeuten geschickt“ worden. Der habe begutachtet, „ob und, wenn ja, wie und wo ein zukünftiger Einsatz möglich sein könnte“, so Kümpel. Die Perspektive der Opfer habe noch keine große Rolle gespielt. Zweimal hat Kümpel nach eigenen Worten vorgeschlagen, die Täter in den Ruhestand zu versetzen: „Das brachte mir damals ein nachsichtiges Lächeln meiner Kollegen ein.“
Zwischenergebnisse auch in Münster
Auch die Diözesen München, Essen und Münster haben Untersuchungen wie die in Köln initiiert. Der von Münster beauftragte Historiker Thomas Großbölting will am Mittwochabend Zwischenergebnisse vorstellen. Im Falle persönlicher Schuld könne er Rücktrittsforderungen verstehen, betont der amtierende Kölner Generalvikar Markus Hofmann. Die Fälle seien aber differenziert zu bewerten. Heute als falsch eingeschätztes Vorgehen könne nach damaliger Kenntnis nicht als schuldhaft gelten, so Hofmann: „Wir müssen jeden einzelnen Fall genau analysieren.“