Hochwasser: Globalisierung des Mitgefühls

Bonn – Erlebt Deutschland eine „Globalisierung des Mitgefühls“? Nach der Flut erfahren wir viel internationale Anteilnahme – gerade aus den armen Ländern des Südens. Die Kirchen haben dabei eine Brückenfunktion.

Auch in Altena hat das Hochwasser gewütet. Foto: Caritasverband für das Kreisdekanat Altena- Lüdenscheid

Die Flutbilder der vergangenen sieben Tage schockieren die Menschen weltweit. Bilder, wie man sie in dieser Gewalt von den Philippinen oder den Hurrikan-Gebieten Mittelamerikas kennt – plötzlich kommen sie mitten aus Europa und dem hoch entwickelten Deutschland. Das Ausmaß der Zerstörungen und die erschreckende Zahl an Toten haben eine internationale Anteilnahme ausgelöst, die trotz des Grauens manchen verblüfft. Über diplomatische Betroffenheitsbekundungen gehen sie oft hinaus. Zum Symbol dafür wurde das in Schwarz, Rot, Gold angeleuchtete Rathaus von Tel Aviv – wer hätte vor 20, 30 Jahren eine solche Geste aus Israel für möglich gehalten?

Katastrophe mit umgekehrten Vorzeichen

Auch wenn Deutschland beim Wiederaufbau kaum auf ausländische Hilfe angewiesen ist und Berlin gerade Milliarden dafür freimacht, sorgt das menschliche Leid selbst in armen und ärmsten Ländern für großes Mitgefühl. Das spürten in den vergangenen Tagen vor allem die kirchlichen Hilfswerke. Sie erhielten nach der Flut Dutzende Grußbotschaften von Landeskirchen und Partnerorganisationen aus Asien, Afrika und Lateinamerika. Weltgegenden, die längst vom Klimawandel erfasst sind und ähnliche Desaster nur zu gut kennen. Bisher waren sie es, die auf christliche Nächstenliebe aus dem reichen Norden hoffen mussten. Nun wirkt es wie eine Katastrophe mit umgekehrten Vorzeichen.

Aus Honduras und Simbabwe, Kuba und Indien, Mali, Kenia, den Philippinen und vielen anderen Staaten des Südens meldeten sich Bistümer und Partner von Kirche in Not, Misereor, missio oder der Caritas. „Diese Solidarität ist berührend und vielleicht ein kleiner Trost für die Menschen, die bei der Flut Angehörige sowie ihr Hab und Gut verloren haben“, sagte der Geschäftsführer von Kirche in Not Deutschland, Florian Ripka, den auch Wünsche aus dem Libanon, der Ukraine und selbst aus dem besonders klimagebeutelten Papua-Neuguinea erreichten. „Auch wenn unsere Projektpartner nicht materiell helfen können, so sind sie mit Gedanken und Gebeten den Menschen nah.“ Ähnliches hört man von Misereor: Die Anteilnahme sei überwältigend. „Sie zeigt uns, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist.“

Erstaunen und Entsetzen

Aus den Botschaften spricht oft Erstaunen und Entsetzen, dass die klimatischen Gefahren selbst in den vermeintlich gut gerüsteten gemäßigten Zonen derart zuschlagen können. Der Exekutivdirektor von Caritas Indien, Paul Moonjely, schreibt von einem „Weckruf“, das drängende Klimaproblem nun energisch anzugehen. Wie viele andere Absender spricht er auch von Dankbarkeit: „Die Menschen in Deutschland waren immer hilfsbereit und willens, den notleidenden Bevölkerungen in der ganzen Welt die Hand zu reichen, besonders in Indien.2 Nun wolle man den Deutschen etwas von diesem „tiefen Gefühl“ zurückgeben.

Tief berührt zeigte sich die Evangelische Kirche im Rheinland nach einem finanziellen Hilfsangebot von 14 afrikanischen Mitgliedskirchen der Vereinten Evangelischen Mission für die deutschen Flutopfer. Insgesamt 20.000 Euro wollen die Gemeinschaften aus bitterarmen Staaten wie Ruanda und Tansania in das Land überweisen, das sie einst in der Kolonie „Deutsch-Ostafrika2 beherrschte.

Zusammenhalt der Weltgemeinschaft

Wächst in solchen „umgekehrten Katastrophen“ also künftig die solidarische Weltgesellschaft zusammen, wie sie Papst Franziskus immer wieder beschwört? Gleich zweimal bekundete der Papst öffentlich sein Mitgefühl mit den Betroffenen der Flut. Das ist ungewöhnlich und zeigt einmal mehr, dass das Kirchenoberhaupt gerade beim Thema Klimawandel auf Zusammenhalt der Weltgemeinschaft baut. Die vielen Beispiele zeigen: Mindestens im christlichen Orbit entwickelt sich womöglich so etwas wie eine „Globalisierung des Mitgefühls“.

Dass in Deutschland auch oft umstrittene islamische Verbände wie Ditib, Milli Görüs und die Hilfsorganisation Islamic Relief zu Spenden aufriefen, sollte fairerweise nicht unerwähnt bleiben. In ihren Appellen erinnerten die Verbände daran, dass die just während der deutschen Schreckenstage unternommene Wallfahrt nach Mekka und das islamische Opferfest zu Barmherzigkeit gegenüber jedermann aufforderten.

Christoph Schmidt (KNA)