Erste Konturen für eine vatikanische Vermittlung im Ukraine-Krieg?

Immer wieder sorgt die Tatsache, dass der Papst bei Reden zum Ukraine-Krieg den Aggressor nicht beim Namen nennt, für Spekulationen. Will er sich Türen für eine Vermittlung offenhalten? Am Rande der UN-Vollversammlung gab es erstaunliche Ansätze.
Immer wieder sorgt die Tatsache, dass der Papst bei Reden zum Ukraine-Krieg den Aggressor nicht beim Namen nennt, für Spekulationen. Will er sich Türen für eine Vermittlung offenhalten? Am Rande der UN-Vollversammlung gab es erstaunliche Ansätze.

Papst Franziskus. –Foto: © Jorge Silva | Dreamstime.com

Zwei ungewöhnliche Handlungsstränge waren bei der UN-Vollversammlung zu beobachten. Und wenn man beide zusammennimmt, ergibt sich daraus ein mögliches Szenario für eine mit anderen Ländern abgesprochene vatikanische Vermittlungsrolle zwischen der Ukraine und Russland. Der eine Handlungsstrang wurde in einer kurzen Videosequenz festgehalten, über die CNS, die Nachrichtenagentur der US-Bischöfe jetzt berichtete. Demnach gab es am Freitag, 23.9., ein längeres Händeschütteln und Miteinanderreden zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin am Rande der Versammlung. Auf einem Video, das dieses Ereignis festhält, ist laut CNS zu hören, wie Lawrow dem Kardinal mit den Worten dankt: “Wir schätzen Ihre Bemühungen in dieser unruhigen Zeit.” Parolin unterstreicht die Zeit-Diagnose mit dem Wort: “Leider!”, dann fährt Lawrow fort, dass Russland die Bemühungen des Heiligen Stuhls “für die Förderung von mehr Stabilität, mehr Gerechtigkeit und, natürlich, für die Herrschaft des Rechts” sehr schätze.

In einem anschließend verbreiteten Kommunique aus Moskau hieß es sodann, Lawrow habe “die Gründe für die anhaltende Krise zwischen Russland und dem Westen deutlich gemacht” und die Schuld der NATO für die wachsenden Spannungen benannt. Diese führe einen “Kreuzzug, um Russland zu zerstören und die Welt zu spalten.” Ferner habe er Parolin erklärt, dass “die von Russland unternommenen Schritte das Ziel haben, Unabhängigkeit und Sicherheit zu garantieren und dem Vormacht-Anspruch der USA entgegenzutreten, die alle globalen Prozesse kontrollieren wollen.”

Der zweite Handlungsstrang begann am Tag zuvor: Am 22.9. machte der mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard in einer Rede vor der Vollversammlung einen auf den ersten Blick eher unwahrscheinlichen Vorschlag: Eine kleine Gruppe von Staatschefs, darunter Papst Franziskus und der indische Regierungschef Narendra Modi, sollten unter Führung von UN-Generalsekretär Antonio Guterres ein Gesprächsforum für die Ukraine und Russland eröffnen, um “vertrauensbildende Maßnahmen” zu ermöglichen. Später traf auch Ebrard am Rande der Vollversammlung mit Lawrow zusammen.

Was aus diesen beiden Momentaufnahmen folgt, ist noch nicht absehbar. Dass zwei größere, keinem Militärbündnis angehörende Mittelmächte wie Indien und Mexiko sowie der ebenfalls neutrale Vatikan mit beiden Seiten im russisch-ukrainischen Krieg sprechen könnten, klingt immerhin plausibel. Wenn Mexiko dabei in Absprache mit dem Vatikan zur treibenden Kraft würde, wäre das keine Überraschung. Parolin hat schon als junger Vatikan-Diplomat am Zustandekommen der damals scheinbar unmöglichen Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Lateinamerikas laizistischstem Staat und dem Heiligen Stuhl vor 30 Jahren mitgewirkt. Zwei Monate nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs war er einige Tage in Mexiko und konferierte dabei auch mit Ebrard.

Der Mexikaner scheint mit seinem Voschlag einer multipolaren Vermittlung eine frühere Idee seines Staatschefs Andres Lopez Obrador modifizieren zu wollen. Der hatte bereits im August ein ähnliches Forum vorgeschlagen, um eine weltweite fünfjährige Waffenruhe auszuhandeln. Diese sollte alle internationalen Kriege betreffen, auch die im Jemen und in Syrien. Ob die mexikanische Initiative in ihrer großen (weltweiten) oder in ihrer kleineren, auf die Ukraine und Russland beschränkten, Variante überhaupt praktikabel wäre, scheint ungewiss. Interessant ist jedenfalls, dass der Vatikan auf dieser Ebene offenbar mit ins Spiel kommen soll. Der Papst könnte dann anknüpfen an die diskrete Vermittlerrolle, die er vor neun Jahren zwischen den USA und Kuba spielte und die im Jahr 2014 zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden seit Jahrzehnten verfeindeten Staaten führte.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)