Ein Forschungsteam der Universität Ulm hat am Freitag in Schwerin Ergebnisse einer Studie zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche in Mecklenburg vorgestellt. Dabei ging es auch um die Rolle des DDR-Regimes.
Schwerin – Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche Mecklenburgs während der DDR-Zeit wurde nicht nur von der Kirche, sondern auch vom Staat vertuscht. So habe es zwischen beiden Seiten inoffizielle Abkommen gegeben, Vorkommnisse unter der Decke zu halten oder Wiederholungstäter in den Westen abzuschieben. Zudem seien beschuldigte Kleriker von der Stasi unter Druck zur Mitarbeit gezwungen worden. Das geht aus einer am Freitag vorgestellten Studie über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Mecklenburgs in den Jahren 1946 bis 1989 hervor. Allerdings sei die Kirche nicht von der Hauptverantwortung für die Taten zu entbinden, so die Autorinnen.
Die unter Leitung der Ulmer Psychiaterin Manuela Dudeck erstellte Untersuchung widmet sich als erste dem Thema sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche in der DDR. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der das Werk als Auftraggeber entgegennahm, erklärte: “Diese Studie ist kein Endpunkt.” Sie könne nur ein Baustein bei der Aufarbeitung von Missbrauch im Erzbistum Hamburg sein. Heße will die Studie am Wochenende lesen und am Montag ausführlich dazu Stellung nehmen.
Im Zuge der Recherchen für eine 2018 veröffentlichte Studie der Deutschen Bischofskonferenz war bekanntgeworden, dass sich im mecklenburgischen Teil des Erzbistums Hamburg besonders viele Missbrauchstaten ereignet haben sollen. Dudeck und ihr Team ermittelten im Untersuchungszeitraum rund 40 Betroffene und 19 Beschuldigte, gehen allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus. Ein Beschuldigter soll allein für 19 Fälle verantwortlich sein.
Die Autorinnen interviewten 13 der Betroffenen, 11 Kirchenvertreter und 3 kirchenexterne Sachverständige. Zudem sichteten sie rund 1.500 Akten aus kirchlichen und staatlichen Archiven, darunter 12 Stasi-Akten. Die rund 170 Seiten umfassende Studie nennt aus Datenschutzgründen keine Namen.
Laut der Studie waren die Opfer zu Beginn des Missbrauchs im Schnitt zehn Jahre alt. Missbrauch und Gewalt zogen sich im Schnitt über gut fünf Jahre hin. Sowohl in den Gemeinden wie in der Kirchenleitung waren laut Dudeck solche Vorkommnisse oftmals bekannt. Durch die Tabuisierung von Sexualität wie auch der Verbreitung körperlicher Gewalt hätten Verantwortliche wie Mitwisser aber Dinge verheimlicht und verdrängt.
Kennzeichnend für sexualisierte Gewalt durch Kleriker in den ersten Jahrzehnten nach 1945 war nach Aussage der Forscherinnen, dass sie oft einherging mit körperlicher und psychischer Gewalt. So seien Prügel und Vergewaltigungen von Geistlichen oft religiös oder pädagogisch verbrämt worden.
Dudeck zufolge unterschieden sich in den Nachkriegsjahrzehnten die Lebensumstände in der DDR und Bundesrepublik wenig. “Sie waren gekennzeichnet von Flucht, Vertreibung, Armut, Vernachlässigung durch Eltern”, so Dudeck. Viele Väter seien abwesend gewesen, weil gefallen, gefangen oder durch Kriegsfolgen beeinträchtigt. Deswegen hätten katholische Mütter und Tanten einen Großteil der Erziehung der Kirche überlassen. Dies wiederum habe es Priestern erleichtert, das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen zu erschleichen und zu missbrauchen. Der Wunsch, zur Kirche zu gehören und sich vom sozialistischen Regime abzugrenzen, habe es zusätzlich erschwert, Dinge nach außen zu tragen.
Die katholische Kirche in Mecklenburg war als sogenanntes Bischöfliches Amt Schwerin zu DDR-Zeiten ein eigener, provisorischer kirchlicher Verwaltungsbereich. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde sie Teil des neu gegründeten Erzbistums Hamburg. Heute leben in der Region rund 39.000 Katholiken, die mit einem Anteil von 3,5 Prozent an der Gesamtbevölkerung eine Minderheit bilden.