Vor 60 Jahren: Trauer um den Papst

Als Johannes XXIII. starb, formierte sich erstmals ein Kanon für Medienberichterstattung zum Papsttod. Wer heute das „Habemus papam“ hört und dann seinen Vornamen, weiß schon: Auch durch diese Schlagzeilen muss ich eines Tages durch!
Als Johannes XXIII. starb, formierte sich erstmals ein Kanon für Medienberichterstattung zum Papsttod. Wer heute das "Habemus papam" hört und dann seinen Vornamen, weiß schon: Auch durch diese Schlagzeilen muss ich eines Tages durch!

Eine Statue Johannes XXIII. –Foto: Germanopoli | Dreamstime.com

Der „gute Papst“ war tot. War nicht mehr da; konnte auch „sein“ Konzil nicht mehr vollenden. Johannes XXIII. starb am Pfingstmontag vor 60 Jahren, am 3. Juni 1963, um 19.49 Uhr – und die katholische Welt schien untröstlich, vaterlos. „Er opferte sein Leben für das Konzil, die Kirche und den Frieden in der Welt“, tickerte die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) in ihrer Eilmeldung.

Seit der Vatikan am 23. Mai eine neuntägige „Auszeit“ des krank wirkenden Papstes angekündigt hatte, waren die Medien alarmiert. Sonderberichterstatter wurden nach Rom entsandt, und eine bis zum Tod nicht mehr abebbende Welle von Gesundheitsbulletins beruhigte oder beunruhigte in den folgenden Tagen die Öffentlichkeit. Der Korrespondent von „Le Monde“ litt gar unter der Monotonie der vatikanischen Verlautbarungen.

Einmal zeigte sich der fast kultisch verehrte Papst der Herzen noch an seinem Fenster; eine Ansprache ließ seine Krebserkrankung jedoch nicht mehr zu. Der „Daily Telegraph“ berichtete am 25. Mai auf seiner Titelseite, das Kirchenoberhaupt habe seit November 18 Kilo Gewicht verloren. Und die „FAZ“ wusste am 29. Mai, das Blut des Papstes sei in der vergangenen Woche „zu drei Vierteln erneuert“ worden.

Schon kurz vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), mit dem Johannes XXIII. eine „Verheutigung“ der kirchlichen Botschaft anstrebte, stellten seine Ärzte Magenkrebs in fortschreitendem Stadium fest; eine Operation wurde als sinnlos erachtet. Der damals fast 81-jährige Papst war todgeweiht.

Ohnehin wusste der frühere Patriarch von Venedig, der im November 1958 mit fast 77 Jahren zum Papst gewählt worden war, dass ihm nicht viel Zeit für sein Projekt bleiben würde. Ein klassisches „Pontifikat des Übergangs“ erwarteten die meisten. Doch der willensstarke, ja sture Bauernsohn Johannes XXIII. forcierte seine Pläne mit allen ihm verbleibenden Kräften.

Von Haus aus uneitel, waren Johannes XIII. die Würde seines Amtes und die Mittel der modernen Medien durchaus bewusst. Nicht nur, dass er seine Privatgemächer für TV-Kameras öffnete und seine auswärtigen Reisen und Besuche, etwa im Kinderkrankenhaus oder im Gefängnis, medial untrüglich zu inszenieren verstand. Auch für das eigene Ableben und das seiner Nachfolger trug er Sorge.

Der mediale Wettlauf um den Tod des vergeistigten Pacelli-Papstes Pius XII. hatte 1958 zu derartigen Auswüchsen und Falschmeldungen geführt, dass sich der Nachfolger zum Handeln genötigt sah. Nach dem Skandal um geheime Leichenfotos, die der päpstliche Leibarzt Riccardo Galeazzi-Lisi an mehrere Zeitungen verkauft hatte, verfügte Johannes XXIII. per Dekret, ein toter Papst dürfe künftig nur noch in Pontifikalgewändern fotografiert werden. Auch Filmaufnahmen aus den Gemächern wurden während Krankheit und Siechtum untersagt.

Das hinderte die Medien freilich nicht, exakt über den Besucherverkehr am Sterbebett des Papstes Buch zu führen. Der Londoner „Guardian“ veröffentlichte auf dem Titelblatt (3. Juni) allein für den 1. Juni eine Liste von 41 Personen.

Die Korrespondentenberichte über das Sterben und den Augenblick des Todes enthalten viele Topoi, die so oder ähnlich seither immer wiederkehren. Der Papst sei just in dem Moment gestorben, als bei der Messe auf dem Petersplatz die Entlassungsworte „Ite, missa est“ gesprochen worden seien, berichtete etwa der Pariser „Figaro“ unter Berufung auf die päpstlichen Leibärzte. Der „Telegraph“ interpretierte das Wetter auf den Todeskampf des Papstes hin: tief hängende Wolken, Donner und Regenschauer. Auch die Dutzenden Reportagen über „die Stimmung unter den wartenden Menschen auf dem Petersplatz“ sind seit 1963 allfälliger Bestandteil des klassischen medialen Pakets.

Letztmals wurde nach dem Tod Johannes XXIII. im Petersdom ein Katafalk vor dem Petrusaltar errichtet: ein meterhohes, von der Papstkrone (Tiara) gekröntes Holzgerüst, das während der täglichen Totenmessen den bereits beigesetzten Papst symbolisierte. Denn der „gute Papst“ war nicht mehr da.

Mit Johannes XXIII. starb vor 60 Jahren der Vater des Konzils

Papst Johannes XXIII. (1958-1963) hat mit dem Konzil eine Zeitenwende ausgelöst – im Wunsch, „dass alle eins seien“. Dieser Wunsch ist auch 60 Jahre später in der römisch-katholischen Kirche noch unerfüllt geblieben. Was wird aus dem Konzil, wenn der Papst stirbt? Diese Frage stellten sich im Frühjahr 1963 nicht nur Kirchenrechtler, als es mit der Gesundheit Johannes‘ XXIII. sichtlich bergab ging. Der 81-Jährige, der es initiiert und seinen Beginn mit allen ihm bleibenden Kräften vorangetrieben hatte, hoffte zunächst, die Beratungen würden nur wenige Monate dauern. Doch angesichts der Dynamik, die die größte Kirchenversammlung des 20. Jahrhunderts entwickelte, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er selbst das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) nicht würde vollenden können.

Am 3. Juni 1963, vor 60 Jahren, erlag Johannes XXIII. seinem Krebsleiden. Schon zuvor hatte es Stimmen gegeben, mit dem Tod des Papstes erlösche das Konzil, und seinem Nachfolger stehe es frei, es erneut einzuberufen. Immer wieder wurde während des tagelangen Todeskampfes der Wunsch des Papstes transportiert – sei es über das ärztliche Bulletin, den Vatikansprecher oder über die Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ -, das Konzil möge fortgeführt werden. So titelte etwa die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 30. Mai: „Der Wunsch des Papstes eine Bitte für das Konzil“.

Auch die überlieferten Letzten Worte des Papstes – „ut unum sint“ (dass alle eins seien) – wurden von der internationalen Presse auf das ökumenische Anliegen des Konzils hin interpretiert. Starb nicht Johannes XXIII. an Pfingsten, wo er doch sein Konzil einmal als ein „neues Pfingsten“ bezeichnet hatte?

Kurz: Sein Wunschnachfolger, Kardinal Giovanni Battista Montini von Mailand / Papst Paul VI., konnte sich einer Fortsetzung der Kirchenversammlung kaum entziehen – auch weil dies schon bald als Letzter Wille Johannes XXIII. in der kirchlichen Öffentlichkeit verankert war. Und obwohl Montini nicht zögerte und bereits kurz nach seiner Wahl die nächste Sitzungsperiode für den September 1963 festsetzte: Es ist nicht ohne Pikanterie, dass eben Montini als geistlicher Ziehsohn des Papstes im Januar 1959, am Abend nach der überraschenden Konzilsankündigung, einem Vertrauten am Telefon sagte, der Papst wisse offenbar gar nicht, in welches „Wespennest“ er damit steche.

Als damals der bereits 77-jährige Kirchenhistoriker Angelo Giuseppe Roncalli, der eigentlich als „Übergangspapst“ gewählt worden war, den verblüfften bis entsetzten Kardinälen verkündete, er werde ein Konzil der Gesamtkirche einberufen, waren die Vorbehalte groß – zumal an der römischen Kurie. Johannes XXIII. wünschte sich kein weiteres Lehrkonzil mit Verurteilungen und Abgrenzungen, sondern ein „Pastoralkonzil“; einen seelsorglichen Versuch, die Botschaft der Kirche in die moderne Welt hineinzusprechen. Als er starb, war noch kein einziges der zahlreichen Konzilsdokumente spruchreif. Und doch ist das Zweite Vatikanum nicht zuletzt sein Werk.

Das Konzil veränderte die Kirche zutiefst. Die Versammlung von rund 2.400 Bischöfen der Weltkirche, von theologischen Beratern und ökumenischen Beobachtern öffnete den Katholizismus für die gesellschaftlichen und politischen Fragen der Zeit; für die Probleme der zeitgenössischen Menschen, wo möglich auf Augenhöhe. Es öffnete die Türen für einen ökumenischen und interreligiösen Dialog. Es wertete die Rolle der Bischöfe gegenüber Rom auf und die Rolle der Laien gegenüber den Bischöfen. Es schnitt alte Zöpfe ab und brach mit Traditionen, bot so Menschen eine neue geistliche Heimat; andere vertrieb es, die sich im Neuen nicht mehr heimisch fühlten.

Der vermeintliche „Übergangspapst“ hatte eine Zeitenwende ausgelöst – im Wunsch, „dass alle eins seien“. Dieser Wunsch ist auch 60 Jahre später selbst in der römisch-katholischen Kirche unerfüllt geblieben. Ein Indiz dafür war schon die gemeinsame Seligsprechung der beiden Konzilspäpste Pius IX. (1846-1878) und Johannes XXIII. im Jahr 2000: ein kirchenpolitischer Kompromiss zwischen päpstlichem Primat, Unfehlbarkeit und Verurteilungskatalogen einerseits und Roncallis Idee des „aggiornamento“ (Verheutigung)

Von Alexander Brüggemann (KNA)