Prozess zu Missbrauch: Richterin sieht Kirche in Haftung

Muss die Kirche als Institution dafür haften, wenn sich Priester oder andere Angestellte schuldig machen durch sexualisierte Gewalt oder andere Vergehen? Ein neuer Prozess könnte Signalwirkung haben für weitere Verfahren.
Muss die Kirche als Institution dafür haften, wenn sich Priester oder andere Angestellte schuldig machen durch sexualisierte Gewalt oder andere Vergehen? Ein neuer Prozess könnte Signalwirkung haben für weitere Verfahren.

Bild von Sang Hyun Cho auf Pixabay

Nach mehrmonatiger Verzögerung hat am Dienstagmittag vor dem Landgericht Traunstein der zweite Schadensersatzprozess eines Missbrauchsopfers gegen die katholische Kirche in Deutschland begonnen. Einen Haftungsanspruch gegen das Erzbistum München und Freising sehe sie grundsätzlich als gegeben an, sagte die Vorsitzende Richterin in einer vorläufigen Rechtsauffassung zum Auftakt der Güteverhandlung.

Als Anstellungskörperschaft sei die Kirche verantwortlich zu machen für den Schaden aus der „unstreitigen Missbrauchshandlung“ des Pfarrers im Sommer 1995 oder 1996. Insofern bestehe gegen sie auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Der Verhandlungsbeginn wurde von Demonstrationen begleitet. Die „Initiative Sauerteig“ und die katholische Reformgruppe „Maria 2.0“ stellten sich in vollem Umfang hinter die Forderungen des Klägers.

Ein 39-jähriger Mann aus Oberbayern will für eine an ihm verübte Missbrauchstat seines damaligen Pfarrers 300.000 Euro Schmerzensgeld vom Erzbistum München-Freising sowie 50.000 Euro von den Erben des früheren Papstes Benedikt XVI. Diese Klage wurde vom Verfahren abgetrennt. Der Grund: Bisher ist unklar, ob jemand das Erbe des Verstorbenen antritt. Eine weitere Klage gegen den früheren Münchner Erzbischof Friedrich Wetter (95) zog der Mann kurzfristig zurück. Der ebenfalls beklagte Täter blieb der Verhandlung trotz Ladung fern und ließ sich durch seinen Anwalt vertreten.

Im bundesweit ersten Fall dieser Art war vor einer Woche das Erzbistum Köln verurteilt worden. Es soll 300.000 Euro Schmerzensgeld an einen Missbrauchsbetroffenen für jahrelang erlittene vielfache Vergewaltigungen durch einen Priester zahlen. Die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig. Der Traunsteiner Kläger gibt an, er habe durch den einmaligen Missbrauch als Ministrant eine seelische Störung erlitten, die zu einer Alkohol- und Drogensucht geführt habe. Der Anwalt des Erzbistums sagte, ihm fehlten dazu noch notwendige Informationen. Auf Basis des bisher vom Kläger Vorgetragenen könne er nicht bewerten, welche Summe angemessen sei. „Dazu brauchen wir eine Einschätzung des Gerichts“, erklärte der Anwalt.

Die „Initiative Sauerteig“ aus dem Tatort Garching an der Alz betonte: „Dieser Prozess ist für uns Gläubige und die katholische Kirche deshalb von größter Bedeutung, weil er die Chance bietet, zu identifizieren, welche Anordnungen und Vorgehensweisen innerhalb der Institution Kirche pädokriminellen Tätern Vorschub geleistet und Deckung geboten haben.“ Es müsse zu einem Urteil kommen, „denn ein Vergleich würde die Problematik wieder im Ungefähren belassen“. Die Initiative hat nach eigenen Angaben 25.000 Euro Spenden gesammelt, um die Prozesskosten des Klägers zu finanzieren.

Der Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, sagte im Deutschlandfunk, die Prozesse könnten Signalwirkung für Hunderte weiterer Missbrauchsopfer haben und der Beginn einer Klagewelle gegen die Bistümer sein. Die Botschaft dieser Verfahren laute: „Ihr habt eine Chance auf Entschädigung.“ Betroffene, die nicht den schwierigen Weg einer Klage gehen wollten, rief er auf, zumindest die bisher von der Kirche gezahlten Anerkennungsleistungen in ihrer Höhe zu überprüfen.

Von Christoph Renzikowski (KNA)