Empörung in Kiew über Papst-Wort zur „Weißen Fahne“

Ukrainische Kirchenführer werfen Papst Franzikus einen „großen Irrtum“ vor – und belehren ihn mit deutlichen Worten über den anhaltenden Krieg in ihrem Land.
Ukrainische Kirchenführer werfen Papst Franzikus einen "großen Irrtum" vor - und belehren ihn mit deutlichen Worten über den anhaltenden Krieg in ihrem Land.

ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi – Foto: rwm

Vor zehn Monaten fragten Meinungsforscher die Ukrainer, welchem Kirchenoberhaupt sie am meisten vertrauen. Sie schlugen sechs verschiedene vor, darunter auch Papst Franziskus. Das Oberhaupt der katholischen Kirche belegte mit 3,1 Prozent Platz vier vor dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. von Konstantinopel (1,8 Prozent) und dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. (0,5 Prozent). Das war kein schlechtes Resultat für Franziskus. Denn nur ein Prozent der Ukrainer sind römisch-katholisch.

Allerdings ist fraglich, ob heute noch so viele Ukrainer dem Papst am meisten vertrauen. In dem von Russland überfallenen Land wundern und ärgern sich aktuell eine Menge Menschen über Franziskus. Der 87-Jährige hatte in einem Interview der Ukraine „Mut zur Weißen Fahne“ und zu Verhandlungen mit Moskau unter internationaler Vermittlung nahegelegt.

Ein Schweizer Journalist hatte von ihm wissen wollen: „In der Ukraine gibt es jene, die den Mut zur Kapitulation, zur Weißen Fahne, fordern. Aber andere sagen, dass dies den Stärkeren legitimieren würde. Was sagen Sie dazu?“ Darauf antwortete Franziskus: „Das ist eine Interpretationsweise. Aber ich denke, dass jener stärker ist, der die Situation erkennt; der an das Volk denkt, der den Mut zur Weißen Flagge hat, zu Verhandlungen.“

In der Ukraine kritisierten auch römisch-katholische Geistliche die Antwort des Papstes deutlich. Der Bischof von Charkiw und Saporischschja etwa, Pawlo Honczaruk, nannte die von Franziskus empfohlenen Verhandlungen „inakzeptabel“, weil die Ukraine mit Russland sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe: „Der Papst hofft, dass der Aggressor ein menschliches Gesicht hat. Das ist ein Irrtum.“ Die im Ausland anzutreffende Meinung, man könne mit Russland verhandeln, sei ein großer Fehler.

Der 46-jährige Bischof widersprach auch der Behauptung des Schweizer Papst-Interviewers, dass Menschen in der Ukraine eine Kapitulation befürworteten: „Das ist eine Lüge.“ Trotz seiner Kritik an Franziskus‘ Äußerung dankte Honczaruk ihm für seine Gebete für das osteuropäische Land. Sein Fazit: „Der Papst ist ein großer Fürsprecher für die Ukraine – auch wenn einige Missverständnisse aufgrund seiner Spontaneität und Naivität zu einem guten Werkzeug für manipulative Kräfte werden.“

Die mit Rom verbundene ukrainische griechisch-katholische Kirche reagierte anders. Ihr oberstes Leitungsgremium vermied jede offene Kritik an den umstrittenen Papstworten und betonte stattdessen die Klarstellung des Vatikans, Franziskus habe in dem Interview nicht zur Kapitulation, sondern nur zu Verhandlungen aufgerufen. Die griechisch-katholische Kirche interpretierte in ihrer offiziellen Stellungnahme Franziskus so, dass sich seine eigentliche Position zum Krieg überhaupt nicht geändert habe. Daher wolle man „nicht auf die Aussage des Papstes eingehen, sondern auf den Standpunkt der Opfer der russischen Invasion in der Ukraine“, schrieben der Kiewer Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, der Bischof für Deutschland, Bohdan Dzyurakh, und die drei weiteren Mitglieder der Ständigen Synode der Kirche.

Dann folgt Klartext: „Die Ukrainer können nicht kapitulieren, weil Kapitulation den Tod bedeutet. Die Absichten Putins und Russlands sind klar und deutlich.“ Die Ukrainer müssten sich daher weiter verteidigen. Gespräche mit Moskau hätten keinen Sinn: „Die jüngste Geschichte hat gezeigt, dass es mit Putin keine echten Verhandlungen geben wird.“

Die Kirchenleitung begründet das damit, dass die Ukraine vor 30 Jahren in Verhandlungen auf ihre Atomraketen verzichtet habe, weil ihr im Gegenzug Sicherheitsgarantien für ihre territoriale Integrität und Unabhängigkeit gegeben worden seien. „Das 1994 von Russland, den USA und Großbritannien unterzeichnete Budapester Memorandum ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben wurde. So wird es auch bei jedem Abkommen sein, das mit Putins Russland ‚ausgehandelt‘ wird“, erklärt die griechisch-katholische Kirche.

Die Papstworte zum Ukraine-Krieg stießen auch international auf viel Kritik und wenig Zustimmung. Vor allem in Osteuropa meldeten sich Regierungen zu Wort und wiesen die Äußerungen vehement zurück. Vatikansprecher Matteo Bruni erklärte, Franziskus habe „vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben“ wollen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte, als Russland den Krieg begonnen habe, seien alle Ukrainer zur Verteidigung aufgestanden; Christen, Muslime und Juden. Russische Mörder und Folterer stießen nur deshalb nicht weiter nach Europa vor, weil sie von Ukrainern mit Waffen in der Hand und unter der blau-gelben Flagge zurückgehalten würden. Russland habe in der Ukraine viele Häuser und Kirchen zerstört, so Selenskyj. Das mache sehr klar, wer den Krieg beenden müsse. Nämlich Russland.

Der Gesamtukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften wählte in seiner Reaktion ebenfalls deutliche Worte. Wenn sich die Ukraine „der Gnade des Feindes“ ergäbe, hätte das „nichts mit Frieden zu tun“, sondern würde den „Sieg der Sklaverei über die Freiheit“ bedeuten, so das Gremium, dem die größten 15 Glaubensgemeinschaften des Landes angehören. „Vor dem triumphierenden Bösen zu kapitulieren, kommt einem Zusammenbruch der universellen Idee der Gerechtigkeit gleich; einem Verrat an den grundlegenden Leitlinien, die uns in den großen spirituellen Traditionen vermacht wurden.“ Daher segne man die Gläubigen bei der Verteidigung ihres Landes und werde dies auch weiter tun. Auch werde man weiter „für den Sieg über den Feind und einen gerechten Frieden“ beten.

Von Oliver Hinz (KNA)