Dokumentation: Steinmeier-Rede auf dem Katholikentag

Trotz des großen Vertrauensverlusts der Kirchen tragen die Christen nach Ansicht des Bundespräsidenten weiterhin stark zum Zusammenhalt in Deutschland bei.
Dokumentation: Steinmeier-Rede auf dem Katholikentag

Frank-Walter Steinmeier. –Foto: © Gints IvuskansDreamstime.com

Trotz des großen Vertrauensverlusts der Kirchen tragen die Christen nach Ansicht des Bundespräsidenten weiterhin stark zum Zusammenhalt in Deutschland bei. „Das ist für unsere ganze Gesellschaft ein Glück“, sagte Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung des Katholikentags am Mittwoch in Erfurt laut Manuskript. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) hat die vorab verbreitete Ansprache in gekürzter Fassung dokumentiert:

„Ermutigung! Das ist ein gutes Stichwort. (…)

In diesem Jahr feiern wir 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre Friedliche Revolution. Darum will ich gerade hier den Katholikinnen und Katholiken für ihren besonderen Beitrag für unsere Demokratie und unseren Staat danken. Ich weiß, dass gerade engagierte Katholiken zu den großen Stützen unseres demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens gehören: von den Jugendgruppen in den Gemeinden und in den Verbänden über die organisierten Gruppen und Vereine Erwachsener bis zu den vielen Einzelnen, die ihren Glauben als Auftrag zum Dienst am Mitmenschen sehen.

Engagierte Christen stellen sich aus diesem Glauben heraus gerade heute sehr entschieden gegen die Extremisten und gegen die Feinde der Demokratie. Ich erinnere an die politisch entschiedene Erklärung der deutschen Bischöfe vom vergangenen Februar, unter dem Titel: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“. Sie ist übrigens auch in ihrer intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus herausragend. (…)

Der vielfältige Dienst von Christen gehört zu dem, was unsere ganze Gesellschaft trägt und zusammenhält. Bei vielen steht im Geiste und nach dem Vorbild der Elisabeth von Thüringen die Sorge um die Armen im Mittelpunkt – und das heißt die Sorge um die, die nicht mitkommen, die vereinsamt sind, deren Leben ausweglos scheint, die krank oder süchtig sind oder die an dem Gefühl der Sinnlosigkeit verzweifeln. Christen, die die Nächstenliebe, die Caritas nach dem Vorbild der Heiligen Elisabeth verstehen, rechnen nicht auf, handeln nicht nach dem Gesetz des Tausches, geben und fragen nicht zuerst, was sie zurückbekommen. Sie leben etwas vor, was niemand einfordern kann und das so vielen hilft und nützt. Das ist für unsere ganze Gesellschaft ein Glück.

Umso mehr kann ich nur zutiefst bedauern, dass die Kirchen einen so großen Zustimmungs- und Vertrauensverlust erleben. Man muss wohl von einer epochalen Veränderung sprechen. Dafür muss man die selbstgemachten Ursachen nennen, wie die fürchterliche Tatsache des massenhaften Missbrauchs und besonders der langen Geschichte seiner Vertuschung.

Aber ich finde, dazu kommt auch noch anderes und wird stärker: Es gibt in weiten Teilen unserer Gesellschaft eine wachsende Entfremdung, ja eine eigenartige Gleichgültigkeit gegenüber dem Religiösen und gegenüber dem, was über unser Leben hinausweist. Geben die Kirchen hier zu wenig Anstoß? Ist ihre Botschaft zu leise, zu blass, zu wenig profiliert?

Es gibt ja auch nicht wenige Menschen – Menschen jeden Alters, Menschen unterschiedlichster Herkünfte und Prägungen -, die ernsthaft suchen nach dem, was ihrem Leben Sinn und Richtung geben könnte. Unsere kritische Frage an uns selbst, als Christen und als Kirche muss sein: Finden diese ernsthaft Suchenden überzeugende Antworten, finden sie geistliche Kompetenz, finden sie empathische Begleitung in unseren Gruppen, Gemeinden und Initiativen?

Nächstenliebe, Caritas und Diakonie sind und bleiben wichtige Dienste der Kirche an Menschen mit ihren unterschiedlichsten Bedürfnissen und Nöten. Und sie bleiben die stärksten Zeugnisse der Glaubwürdigkeit. Aber Diakonie und Caritas werden getragen von Glauben und Vertrauen. Sie brauchen Kraftquellen und innere Stärkung. Dazu gehören Gottesdienst, gemeinsames Beten und Singen, und das Hören auf die Bibel. Dazu wird auch sicher hier auf dem Katholikentag wieder Gelegenheit sein.

Ich weiß und ich bin mir sicher, dass immer noch sehr viel Gutes von den Christen unseres Landes ausgeht und dass im Hinblick auf die Zukunft schon mutige, manchmal streitbare, aber doch hoffnungsvolle Schritte getan werden. Dafür bin ich dankbar und das macht auch mir selber Hoffnung. (…)“

kna