Neher: Flüchtlingsfeindliche Töne kommen nicht nur von der AfD

Caritas-Präsident Prälat Peter Neher kritisiert feindselige Töne von Politikern gegenüber Flüchtlingen. Es gehe nicht an, wenn sie sich etwa mit markigen Forderungen nach Abschiebungen nach Afgha­nistan profilieren wollten, sagt er im Interview. Solche Töne kämen nicht nur von der AfD, betont der Caritas-Präsident. Die Caritas will daher mit einer Aktion vor der Bundestagswahl für mehr Menschlichkeit werben.

Caritas-PrŠäsident Dr. Peter Neher. Foto: obs/Deutscher Caritasverband e.V.

Prälat Neher, im kommenden Monat startet die Caritas mit „Wählt Menschlichkeit“ eine Aktion zur Bundestagswahl. Ist uns die Mitmenschlichkeit zwei Jahre nach dem hohen Anstieg der Flüchtlingszahlen abhandengekommen?

Neher: Nein, das ist glücklicherweise nicht passiert, im Gegenteil. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in unserer Gesellschaft politische Kräfte gibt, die massive Widerstände gegen Integrationspolitik, ja gegen Flüchtlinge überhaupt ausüben und sich dabei auch noch auf christliche Werte berufen. Mit unserer Aktion wollen wir keine Wahlempfehlung für eine bestimmte Partei abgeben. Stattdessen wollen wir zum einen dazu aufrufen, überhaupt zur Wahl zu gehen, zum anderen möchten wir damit einen klaren Akzent setzen: Die Wähler sollten in den Wahlprogrammen überprüfen, inwieweit die Parteien den Menschen im Zentrum ihres Handelns sehen. Die beiden Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände haben sich bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen stark engagiert.

Wo hakt es noch?

Neher: Nach der Aufnahme sind wir inmitten der gesellschaftspolitischen Kärrnerarbeit. Dazu gehört für die Flüchtlinge sicher neben dem Erwerb von Sprache und Arbeit das Erlernen einer demokratischen Kultur, also etwa der Umgang der Geschlechter miteinander, das Leben in einer pluralen Gesellschaft und die Rolle der Religionen. Für manchen war das Thema zur Rolle von Religion in unserer säkularen Gesellschaft schon abgehakt, eine Debatte darüber wäre aber sehr wichtig und notwendig.

Wie erleben Sie die Hilfe der Ehrenamtlichen für Flüchtlinge?

Neher: Die Unterstützung ist nach wie vor ungebrochen. Ich würde mir aber mehr Rückendeckung von staatlicher Seite wünschen. Viele Helfer sind immer wieder Anfeindungen ausgesetzt, die bedrohliche Formen annehmen können. Wenn dann noch feindselige Töne von Politikern gegenüber Flüchtlingen kommen und einige meinen, sich mit markigen Worten für Abschiebungen nach Afghanistan profilieren zu können, wird es sehr schwierig. Und solche Töne kamen in den vergangenen Monaten nicht nur von der AfD.

Welche weiteren politischen Korrekturen erhoffen Sie sich mit Blick auf die Flüchtlingspolitik?

Neher: Wir fordern ganz klar eine Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan, zumindest solange, bis das Auswärtige Amt eine neue Einschätzung der Sicherheitslage vorlegt. Zudem setzen wir uns dafür ein, dass die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz aufge­hoben wird. Wir wissen aus unseren Erfahrungen, dass das wichtig wäre, damit Integration gelingen kann. Wenn jemand immer mit der Sorge um seine Familie belastet ist, fällt das schwer. Mittelfristig brauchen wir neben einem Integrationsgesetz auch ein Einwanderungsgesetz. Das Asylgesetz kann keine Lösung für die gesamten weltweiten Wanderungsbewegungen sein. Durch ein Einwanderungs­gesetz würde man auch die Asylverfahren entlasten.

Unter den Flüchtlingen sind viele Muslime. Schon bevor sie nach Deutschland kamen, fühlte sich aber nur ein kleiner Teil der hier lebenden Muslime von den Islamverbänden repräsentiert. Was muss sich ändern, damit die Verbände bei der Integration verstärkt helfen können?

Neher: Da sind die Islamverbände selbst gefordert, sie müssen beispielsweise verbindliche Ansprechpartner benennen. Kirchliche Verbände sind gerne beim Aufbau eines muslimischen Wohlfahrtsverbandes zu einer Kooperation bereit, die Initiative dazu aber muss von muslimischen Verbänden ausgehen.

Unabhängig von Migranten und hohen Flüchtlingszahlen beklagen Vertreter von Sozialverbänden ein weiteres Auseinanderdriften von Arm und Reich. Welche Hilfe bräuchten einkommensschwache Familien?

Neher: Ganz wichtig wäre eine Reform des Kinderzuschlags. Der ist trotz der bisher durchgeführten Änderungen immer noch zu starr. Gedacht ist er ja für Familien, die ein so geringes Einkommen haben, dass sie aufgrund ihrer Kinder ohne den Zuschlag in den Hartz-IV-Bezug abrutschen würden. Wir bräuchten flexiblere Grenzen. Es kann nicht sein, dass Familien den Zuschlag verlieren, weil ein Elternteil ein paar Euro mehr verdient. Nach dem Ausbau der Kitas müssen wir zudem nun bei der Qualität nachsteuern. Hilfreich wäre ein Qualitätsgesetz, das etwa den Betreuungsschlüssel regelt. Immerhin sind wir in dieser Legislaturperiode einen Schritt vorangekommen, es gibt jetzt zumindest gewisse Vereinbarungen, auf die sich die Bundesländer geeinigt haben.

Einige Parteien sind für eine Abschaffung des Ehegattensplittings und wollen einen Steuervorteil an das Vorhandensein von Kindern koppeln. Wie stehen Sie dazu?

Neher: Als kirchlichem Verband ist uns natürlich der Schutz der Ehe wichtig, aber vermutlich braucht es eine Weiterentwicklung des Splittings mit Blick auf die Kinder. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Kinder auch in Familien leben, deren Eltern nicht in der klassischen Ehe leben.

Nun hat der Bundestag auch die Ehe für homo­sexuelle Partnerschaften zugelassen. Der Familienbund der Katholiken plädiert dafür, dass die katholische Kirche auch nach liturgischen Formen für diese Partnerschaften sucht.

Neher: Ich glaube, dass solche Überlegungen für die katholische Kirche durch das neue Gesetz deutlich erschwert wurden. Durch die klare Trennung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft wäre es vielleicht sogar für unsere Kirche einfacher gewesen, eine liturgische Form für homosexuelle Paare zu finden. Mit der nun geschaffenen Öffnung der Ehe tun wir uns da schwerer, da es für die katholische Kirche nur die Ehe zwischen Mann und Frau gibt. Die Kirche kann keine liturgische Form an­bieten, welche die Ehe und homosexuelle Partnerschaften gleich behandelt.

Interview: Birgit Wilke (kna)