Missbrauch: Neue Fragen zur Rolle Joseph Ratzingers

Im Fall eines mehrfach wegen Missbrauchs verurteilten Priesters, der unter Erzbischof Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., im Münchner Erzbistum eingesetzt wurde, sind neue Details aufgetaucht. Der Priester war auch im Bistum Essen eingesetzt. Nachforschungen der Fernsehredaktion „Frontal21“ und des Recherchezentrums CORRECTIV zufolge gibt es mehr Berührungspunkte zwischen dem als „H.“ bezeichneten Täter und dem späteren Papst, als bisher bekannt war.

(Foto: © Marco Manieri | Dreamstime.com)

Der Fall erregte 2010 weltweit Aufsehen, als amerikanische Medien herausfanden, dass der vorbelastete Geistliche 1980 mit Billigung des damaligen Erzbischofs Ratzinger unter Auflage einer Therapie in München als Seelsorger aufgenommen wurde. H. war jahrzehntelang weiter in der Pfarrseelsorge im Erzbistum München-Freising tätig. Daran änderte auch ein erneuter Missbrauch nichts, für den er 1986 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Erst 2010 erfolgte seine Suspendierung vom Priesteramt, zuvor hatte es weitere Vorwürfe wegen übergriffigen Verhaltens bei Minderjährigen gegeben.

Die am Dienstag veröffentlichten Recherchen legen die Vermutung nahe, dass Ratzinger, der von 1982 bis 2005 die Glaubenskongregation im Vatikan leitete, auch in dieser Zeit von der fortdauernden Beschäftigung des Priesters gewusst haben könnte. Ab 2001 war Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation von Amts wegen weltweit für die Verfolgung von Missbrauchs-Verbrechen im katholischen Klerus zuständig.

Eine Schlüsselfigur für die neuen Recherchen ist der im Juli 2000 verstorbene ehemalige Münchner Weihbischof Heinrich von Soden-Fraunhofen. Mit ihm war Ratzinger seit Studienzeiten befreundet. Er lebte von 1993 bis 2000 in Engelsberg, der Nachbargemeinde von Garching an der Alz, wo H. von 1986 bis 2008 unter Auflagen als Seelsorger tätig war. Von Soden hatte die Aufgabe, den Missbrauchstäter H. zu überwachen.

Unklar ist, ob er Ratzinger in den 1990er Jahren weiter über den Fall H. auf dem Laufenden hielt. Als der Kardinal im Jahr 2000 seinen sterbenskranken Studienfreund besuchte, traf er den Recherchen zufolge zufällig auch auf H. Ob Ratzinger ihn erkannte, ist nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft München II, die bereits früher gegen H. ermittelte, prüft derzeit, ob es weitere Taten gibt und ob Ermittlungen aufzunehmen sind. Das bestätigte eine Sprecherin der Katholischen Nachrichten-Agentur .

kna