Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller übt im Fall Woelki Kritik am Vatikan. Die Glaubenskongregation ignoriere „auf groteske Weise die im Jahr 2010 von Papst Benedikt XVI. festgelegten Rechtsnormen zum Umgang mit sexuellem Missbrauch“.
Vatikanstadt/Köln – Der Vatikan plant offenbar keine kirchenrechtlichen Schritte gegen den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki im Fall des verstorbenen Priesters O. Nach Einschätzung der zuständigen römischen Kurienbehörde musste Woelki den Verdacht des Missbrauchsfalls 2015 nach damals geltendem Recht nicht zwingend nach Rom melden. Eine entsprechende Einschätzung der Römischen Glaubenskongregation ging vergangene Woche an die Bischofskongregation, die um eine Beurteilung gebeten hatte. Dies erfuhr die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) aus dem Umfeld der Kurie.
Woelki wird von Kritikern zur Last gelegt, dass er den Fall des Priesters O. 2015 nach seinem Amtsantritt in Köln zwar zur Kenntnis genommen, aber eine kirchenrechtliche Voruntersuchung und eine Meldung nach Rom unterlassen habe. Der Kardinal begründete dieses Vorgehen mit der damals schon weit fortgeschrittenen Demenz des ehemaligen Pfarrers, die eine Befragung unmöglich machte. Eine bedingungslose Meldepflicht, wie sie spätestens seit 2020 vorgeschrieben ist, habe damals noch nicht gegolten, heißt es dazu aus Rom. Ob es „klug war“, den Fall nicht zu melden, sei „allerdings eine andere Frage“.
Woelki hatte Vatikan um Prüfung gebeten
Nach wachsender öffentlicher Kritik hatte Woelki Mitte Dezember den Vatikan um Prüfung gebeten. Da ihm selbst kein Missbrauch vorgeworfen wird, sondern falscher Umgang mit einem Verdachtsfall, ist die Bischofskongregation zuständig. Wann sie ihre Entscheidung mitteilt und ob es darin nur um den Fall von 2015 geht oder um mehr, ist offen. Möglich ist, dass der Vatikan erst noch die vom Erzbistum Köln angekündigte Veröffentlichung von Gutachten Mitte März abwarten will.
Ob die Kongregation die Beteiligten in Deutschland bereits über einen Zwischenstand informiert hat, ist nicht bekannt. Eine laut Kirchenrecht und Geschäftsordnung der Kurie vorgesehene 30-Tage-Frist, innerhalb derer Kurienbehörden die beteiligte andere Seite darüber informieren soll, ist inzwischen verstrichen. Das Bistum Münster teilte auf Anfrage der KNA mit, Bischof Felix Genn als zuständiger dienstältester Bischof der Kölner Kirchenprovinz habe bisher keine Antwort auf sein Schreiben vom 11. Dezember erhalten.
Schüller: „Willkürjustiz, die den Namen ‚Recht‘ nicht mehr verdient“
Unterdessen kritisierte der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller den Vatikan. „Die Glaubenskongregation ignoriert auf groteske Weise die im Jahr 2010 von Papst Benedikt XVI. festgelegten Rechtsnormen zum Umgang mit sexuellem Missbrauch“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Dienstag): „Um Woelki zu retten, wird der frühere Papst geopfert, seine Gesetzgebung ad absurdum geführt.“ Schüller nannte dies „Willkürjustiz, die den Namen ‚Recht‘ nicht mehr verdient.“
Die Organisation „Wir sind Kirche“ zeigte sich verwundert: „Warum hält sich der Vatikan nicht an römische Rechtsnormen?“ Möglicherweise habe Rom sehr lange nach einem Weg gesucht, Kardinal Woelki zu schonen, weil ihn konservative Kräfte dort „als unverzichtbareren Bremser“ in der Reformdebatte Synodaler Weg unbedingt halten wollten. Sprecher Christian Weisner forderte in der „Rheinischen Post“ (Dienstag), dass „die genaue Begründung des Vatikan möglichst umgehend veröffentlicht wird, um die Verwirrung nicht noch auszuweiten“.
Bestimmung von 2010
Auch andere Kirchenrechtler hatten schon vor der mutmaßlichen römischen Entscheidung erklärt, dass Woelki den Fall eigentlich hätte nach Rom melden müssen. Selbst ohne kirchenrechtliche Voruntersuchung in einem Bistum müsse es eine Information an Rom geben, sagte etwa der Münsteraner Wissenschaftler Klaus Lüdicke der KNA. Das Kirchenrecht verlange „nicht den Bericht über die Voruntersuchung, sondern über die Kunde von der Straftat“.
In den römischen Bestimmungen von 2010 heißt es wörtlich: „Wann immer der Ordinarius oder Hierarch eine mindestens wahrscheinliche Nachricht über eine schwerwiegendere Straftat erhält, muss er nach Durchführung einer Voruntersuchung die Kongregation für die Glaubenslehre darüber informieren.“ Ob aber gemäß dieser Normen 2015 eine Meldung nach Rom selbst dann zwingend erforderlich war, wenn eine Voruntersuchung nicht mehr möglich war, scheint unter Kirchenjuristen strittig zu sein.