Papst ordnet Apostolische Visitation für das Erzbistum Köln an

In einem ungewöhnlichen Schritt ordnet Papst Franziskus eine Apostolische Visitation, also eine offizielle Überprüfung, für das Erzbistum Köln an.

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In einem ungewöhnlichen Schritt ordnet Papst Franziskus eine Apostolische Visitation, also eine offizielle Überprüfung, für das Erzbistum Köln an. Wie die Nuntiatur in Berlin am Freitag mitteilte, wurden Kardinal Anders Arborelius aus Schweden und der Bischof von Rotterdam, Johannes van den Hende, zu Visitatoren ernannt.

Sie sollen sich in der ersten Junihälfte “vor Ort ein umfassendes Bild von der komplexen pastoralen Situation im Erzbistum Köln verschaffen”. Außerdem sollen sie untersuchen, ob der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße und die Kölner Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff Fehler gemacht haben beim Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs.

Woelki begrüßt Reaktion des Vatikan

Kölner Kardinal Woelki Rainer Maria Woelki begrüßt in einer ersten Reaktion die angekündigte Apostolische Visitation für das Erzbistum Köln. “Bereits im Februar habe ich den Heiligen Vater in Rom umfassend über die Situation in unserem Erzbistum informiert”, erklärte er am Freitag. “Ich begrüße, dass der Papst sich mit der Apostolischen Visitation ein eigenes Bild über die unabhängige Untersuchung und die Konsequenzen daraus verschaffen will.”

Er werde die beiden Visitatoren, Kardinal Anders Arborelius aus Schweden und den Rotterdamer Bischof Johannes van den Hende, “mit voller Überzeugung in ihrer Arbeit unterstützen. Alles, was der konsequenten Aufarbeitung dient, begrüße ich.” Erst am Donnerstag war bekannt geworden, dass den Münsteraner Bischof Felix Genn  erneut eine Anzeige gegen den Kölner Kardinal Woelki erreicht hat. Genn ist der dienstälteste Bischof in der Kölner Kirchenprovinz. Ihm obliegt es laut Kirchenrecht, bei Vorwürfen gegen einen Bischof die kirchenrechtliche Untersuchung zu übernehmen.

Kölner Katholiken loben angekündigte Visitation im Erzbistum

Vertreter katholischer Laien im Erzbistum Köln begrüßen die angekündigte Untersuchung durch den Vatikan in Deutschlands mitgliederstärkster Diözese. “Die Anordnung der Visitation unterstreicht, dass auch in Rom verstanden wird, dass im Erzbistum Köln unter der Leitung von Kardinal Woelki der Kontakt zwischen Gemeinden und Bistumsleitung schwer geworden ist”, erklärte der Vorsitzende des Diözesanrates der Katholiken, Tim-O. Kurzbach am Freitag in Köln. Die Gespräche der beiden Papst-Gesandten sollten auch mit Vertretern von Mitarbeitenden und Laien geführt werden: “Deswegen laden wir schon jetzt die Visitatoren in unsere Vollversammlung am 16. Juni ein.”

Auch die Reforminitiative Maria 2.0 im Rheinland, die bereits im Januar eine Visitationsreise eines Vatikanvertreters angeregt hatte, äußerte sich positiv über den Schritt. “Die Situation hat sich derart zugespitzt, dass es innerhalb dieses Systems alternativlos ist”, sagte Sprecherin Maria Mesrian der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): “Es bleibt zu hoffen, dass die Visitatoren einen offenen Blick haben und alle Stimmen in diesem Bistum hören.

Kardinal äußert Verständnis für Proteste

Nach Gesprächen wegen einer anstehenden Firmung in einer Düsseldorfer Pfarrei hat der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki unterdessen Verständnis über Proteste geäußert. “Ich kann viele Sorgen und Vorwürfe verstehen und mir ist es wichtig, sie zu hören”, sagte Woelki am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): “Nur dann können wir zusammen weitergehen und Lösungen finden.”

Der Erzbischof dankte dem leitenden Pfarrer von Sankt Margareta in Düsseldorf-Gerresheim, Oliver Boss, sowie den Gemeindemitgliedern, “dass wir einen solchen ehrlichen und offenen Austausch führten – so schmerzhaft manches ist”. Gerresheim habe einen besonderen Platz in seinem Herzen, sagte Woelki, der in den 1980er-Jahren als Pfarrpraktikant und Diakon in der Gemeinde tätig war. Er wolle dazu beitragen, “dass wir weiter zusammenfinden, vor allem im Sinne der Firmlinge”.

Innere Zerrissenheit

Woelki wurde in Düsseldorf von Protestierenden empfangen, die ihm Rote Karten entgegenstreckten. Pfarrer Boss sprach am Freitag im WDR dennoch von einem guten Austausch. Er wies auch auf die Zerrissenheit innerhalb seiner Pfarrei hin. Die Unterzeichnenden des Offenen Briefs seien Menschen aus der Mitte der Gemeinde, es gebe jedoch auch andere Positionen.

Gemeindemitglied Peter Barzel bezeichnete das Gespräch mit Woelki hingegen als für ihn schmerzlich. “Ich konnte nicht spüren, dass die tiefe innere Zerrissenheit bei Gläubigen in der Gemeinde ob dieser Vorfälle bei ihm ankommt”, sagte der Mit-Initiator des Offenen Briefes. Eine Rücktrittsaufforderung habe der Kardinal von sich gewiesen.

Immer wieder neue Details

Seit mehr als einem Jahr wird im Erzbistum Köln um die öffentliche Aufarbeitung früherer Missbrauchsfälle durch Geistliche gerungen. Dabei geht es auch um die Frage, inwiefern hohe Amtsträger Missbrauchstäter geschützt und Fälle vertuscht haben. Auch Woelki werden Vorwürfe gemacht, obwohl ihn ein Aufarbeitungsgutachten des Strafrechtlers Björn Gercke juristisch entlastet. Dennoch wird seit Wochen immer wieder über neue Details rund um Fälle aus dem Gercke-Report diskutiert. Kritiker werfen Woelki vor, sich zu sehr auf juristische Fragen zurückzuziehen und zu wenig moralische Verantwortung zu übernehmen.

Ende 2020 wurde dem Kardinal erstmals angelastet, in einem Missbrauchsfall an Vertuschung beteiligt gewesen zu sein. Woelki wandte sich deshalb im Dezember an Papst Franziskus. Der Papst solle prüfen, ob er als Kölner Erzbischof eine Pflichtverletzung nach dem Kirchenrecht begangen habe, so Woelkis Absicht damals. Auch Laienvertreter vom Kölner Katholikenausschuss und die Protest-Initiative Maria 2.0 im Rheinland hatten Papst Franziskus um sein Eingreifen gebeten und unter anderem eine Visitationsreise eines Vatikanvertreters angeregt. Bislang gab es aus dem Vatikan keine offizielle Antwort auf diese Anfragen.

Rücktritt angeboten

Der Mitte März veröffentlichte Gercke-Report weist hohen Amtsträgern im Erzbistum Köln – darunter ehemalige Generalvikare und Erzbischöfe – mindestens 75 Pflichtverletzungen zwischen 1975 und 2018 nach. Demnach sind die Würdenträger Verdachtsfällen nicht nachgegangen und haben sich nicht um die Betroffenen gekümmert. Nach Veröffentlichung des Gutachtens boten der Hamburger Erzbischof Stefan Heße sowie der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp Papst Franziskus ihren Rücktritt an. Beide waren früher als Generalvikare in Köln tätig. Heße werden elf und Schwaderlapp acht Pflichtverletzungen angelastet. Woelki hingegen wird im Report sowohl unter kirchen- als auch strafrechtlichen Gesichtspunkten entlastet. Eine moralisch-ethische Bewertung seines Verhaltens leistet das Gutachten nicht

Rote Karte für Kardinal Woelki

Kardinal Anders Arborelius kommt zur Visitation

Er ist Schwedens erster und einziger Kardinal und erfreut sich innerhalb seines Heimatlandes großer Beliebtheit. Anders Arborelius wurde am 24. September 1949 geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend im südschwedischen Lund. Als 20-Jähriger konvertierte der Lutheraner zum Katholizismus und trat zwei Jahre später in den Orden der Karmeliten ein. Arborelius absolvierte ein Magisterstudium in modernen Sprachen. Neben Schwedisch und Englisch beherrscht er auch Deutsch und Spanisch. Theologie studierte er im belgischen Brügge und in Rom. 1998 machte Papst Johannes Paul II. den Ordensmann zum Bischof von Stockholm. Papst Franziskus ernannte ihn 2017 zum Kardinal.

Über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde Arborelius durch die Affäre um den Holocaust-Leugner Richard Williamson, einen Bischof der traditionalistischen Piusbruderschaft. Arborelius sagte in einem Interview, er habe den Vatikan über umstrittene Äußerungen von Williamson vor der Aufhebung von dessen Exkommunikation informiert. Damit brachte er die vatikanischen Behörden in Erklärungsnot. Arborelius ist Mitglied der vatikanischen Kleruskongregation, die für Fragen der Bildung und pastoralen Arbeit von Priestern und Diakonen sowie für die Aufsicht über Finanzangelegenheiten zuständig ist. Zudem sitzt er im päpstlichen Einheitsrat, der den Papst beim Thema Ökumene berät. Der 71-Jährige gilt als volksnah und bescheiden. In Stockholm ist er regelmäßig mit der U-Bahn unterwegs. Nun hat ihn Papst Franziskus neben dem Rotterdamer Bischof Johannes van den Hende zum Apostolischen Visitator für das Erzbistum Köln ernannt.

Bischof Johannes Harmannes Jozefus van den Hende

Der zweite Apostolische Visitator in Köln, Johannes Harmannes Jozefus van den Hende (57), wurde 2011 von Papst Benedikt XVI. zum Bischof von Rotterdam ernannt. Zuvor war er vier Jahre Oberhirte von Breda. Seit 2016 ist Hans van den Hende, wie er meist genannt wird, Vorsitzender der Bischofskonferenz der Niederlande. Geboren wurde van den Hende am 9. Januar 1964 im friesschen Groningen. Nach Studien der Philosophie und Theologie in Utrecht absolvierte er bis 1994 ein fünfjähriges Promotionsstudium in Kirchenrecht an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Im April 1991 wurde er zum Priester der Diözese Groningen-Leeuwarden geweiht. Von 1994 bis 2000 arbeitete van den Hende als Seelsorger in mehreren Pfarreien, bevor er zum Generalvikar seines Heimatbistums ernannt wurde. Als solcher war er unter anderem für die Priesterausbildung verantwortlich, aber weiterhin auch in der Pfarreiseelsorge tätig. Im September 2009 ernannte Benedikt XVI. ihn zum Bischofskoadjutor für die Diözese Breda; die Weihe empfing er im November. Ein Jahr später wurde er Nachfolger von Bischof Martinus Muskens.

Vier Jahre später wechselte van den Hende in das erst 1955 gegründete Bistum Rotterdam. In der zweitgrößten Stadt der Niederlande mit Europas größtem Seehafen folgte er Bischof Adrianus van Luyn. In seinem Bistum machte van den Hende vor allem mit Initiativen in der Jugendarbeit von sich Reden. Bei den Weltjugendtagen 2008 in Sydney und 2011 in Madrid begleitete er jeweils niederländische Teilnehmer und hielt dort auch Katechesen. Anfang 2014 hatte van den Hende in seiner Diözese eine “Tour des Glaubens” gestartet. Dazu besuchte er jeden zweiten Sonntag im Monat eine andere Pfarrei, um junge Menschen zu treffen.

Visitationen sind ergebnisoffen

Apostolische Visitatoren sind vom Papst beauftragte, mit besonderen Rechten ausgestattete Prüfer. Sie untersuchen bei innerkirchlichen Konflikten, Finanzskandalen oder vermuteten Rechtsbrüchen in einem Bistum oder in einer Ordensgemeinschaft den Sachstand und bewerten ihn. Die von ihnen Befragten sind laut Kirchenrecht verpflichtet, “vertrauensvoll mit dem Visitator zusammenarbeiten, indem sie auf rechtmäßiges Befragen wahrheitsgemäß” antworten. Visitatoren sind allein dem Papst verantwortlich; ihre Berichte können neben der Feststellung möglicher Missstände auch Handlungsempfehlungen für deren Beseitigung enthalten. Anders als bei der Entsendung eines Päpstlichen Delegaten oder eines Administrators bedeutet die Visitation keine vorübergehende Entmachtung des visitierten Bischofs oder Ordensoberen. Kardinal Rainer Maria Woelki kann also seine Arbeit derzeit ohne Einschränkung fortsetzen. Visitationen sind ergebnisoffen.

Je nach festgestelltem Sachstand kann der Papst nach der Visitation durch Ernennung eines Administrators den Übergang der Leitung eines Bistums oder eines Klosters in andere Hände vorbereiten. „Viel hängt davon ab, wie der Auftrag formuliert ist. Aber unabhängig davon, ob der Papst um eine Empfehlung bittet oder ein Visitator von sich aus Konsequenzen empfiehlt: Am Ende macht sich das Kirchenoberhaupt ein eigenes Bild und entscheidet allein“, sagte der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier am Freitag

 rwm/kna

Chronik der Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln