Warum der Papst den Rücktritt von Heße ablehnt

Wieder kommt aus Rom ein überraschendes Nein: Nach dem Gesuch von Kardinal Marx im Juni hat Franziskus auch den Rücktritt des Hamburger Erzbischofs Heße abgelehnt. Doch diesmal gab es kein persönliches Schreiben vom Papst.
Wieder kommt aus Rom ein überraschendes Nein: Nach dem Gesuch von Kardinal Marx im Juni hat Franziskus auch den Rücktritt des Hamburger Erzbischofs Heße abgelehnt. Doch diesmal gab es kein persönliches Schreiben vom Papst. Vatikan/Hamburg – Lang erwartet und dann doch plötzlich und ohne Ankündigung kam die römische Entscheidung im Fall Heße. Um 12 Uhr verbreitete die Deutsche Bischofskonferenz ein knapp gehaltenes Schreiben der Apostolischen Nuntiatur, also der Botschaft des Papstes in Deutschland. Darin heißt es, nach eingehender Prüfung habe der Vatikan "persönliche Verfahrensfehler" beim Hamburger Erzbischof Stefan Heße festgestellt: "Die Untersuchung hat jedoch nicht gezeigt, dass diese mit der Absicht begangen wurden, Fälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen."

Papst Franziskus. –Foto: © Jorge Silva | Dreamstime.com

Lang erwartet und dann doch plötzlich und ohne Ankündigung kam die römische Entscheidung im Fall Heße. Um 12 Uhr verbreitete die Deutsche Bischofskonferenz ein knapp gehaltenes Schreiben der Apostolischen Nuntiatur, also der Botschaft des Papstes in Deutschland. Darin heißt es, nach eingehender Prüfung habe der Vatikan „persönliche Verfahrensfehler“ beim Hamburger Erzbischof Stefan Heße festgestellt: „Die Untersuchung hat jedoch nicht gezeigt, dass diese mit der Absicht begangen wurden, Fälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen.“

Kein persönliches Schreibend es Papstes

Und deshalb – so der entscheidene Satz – habe „der Heilige Vater entschieden, den Amtsverzicht nicht anzunehmen“. Anders als bei dem sehr persönlichen Schreiben, mit dem Franziskus vor drei Monaten das Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx ablehnte, hat sich der Papst diesmal in Form und Sache eng ans Kirchenrecht gehalten. Dieses Recht, das er selbst erst im Jahr 2019 mit dem Schreiben „Vos estis lux mundi“ eingeführt hat, zieht für den Tatbestand der Vertuschung bei Missbrauchsfällen enge Grenzen. Vertuschung wird dort definiert als „Handlungen oder Unterlassungen, die darauf gerichtet sind, die zivilen Untersuchungen oder kirchenrechtlichen Untersuchungen verwaltungsmäßiger oder strafrechtlicher Natur gegenüber einem Kleriker (…) zu beeinflussen oder zu umgehen.“

Eine persönliche Vertuschungsabsicht muss also nachgewiesen werden, damit dieser Straftatbestand erfüllt ist, der dann zwingend zur Niederlegung des Bischofsamtes führen würde. Diese Absicht war nach den Erkenntnissen der vatikanischen Prüfer nicht gegeben. Sie stellten vielmehr fest, es habe „Mängel in der Organisation und Arbeitsweise“ des Erzbistums Köln gegeben, als Heße dort in seiner Zeit als Kölner Personalchef und später Generalvikar Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen machte. Das Grundproblem sei der „Mangel an Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber den von Missbrauch Betroffenen“ gewesen.

Papst verschafft sich Spielraum für andere Bistumer

Mit seiner Entscheidung verschafft sich der Papst Spielraum für zahlreiche Bistümer weltweit. In allen Erdteilen haben Männer, die heute Bischöfe sind, ähnliche Fehler gemacht wie Heße in seiner Kölner Zeit. Das Kirchenrecht in Bezug auf Missbrauch war bis vor kurzem derart unklar und verworren, dass nur wenige Personalverantwortliche stets in einer Weise handelten, die man heute als korrekt bezeichnen würde. Für das Erzbistum Hamburg und seinen Oberhirten beginnt nun eine neue und sehr schwierige Phase nach Heßes sechsmonatiger Auszeit. Dem Interims-Bistumsleiter, Generalvikar Ansgar Thim, riss noch vor einem Monat der Geduldsfaden, und er drängte auf eine rasche Entscheidung des Papstes.

Nun wird vieles davon abhängen, ob das Kirchenvolk gewillt ist, dem Erzbischof seine Fehler aus den Kölner Jahren nachzusehen und ihm eine neue Chance zu geben. Heße dankte dem Papst „für seine klare Entscheidung“ und das in ihn gesetzte Vertrauen. Die Wiederaufnahme seines Dienstes werde nicht leicht sein, heißt es in einem Brief an die Gläubigen. Beim Neuanfang sei es ihm auch „ein großes Bedürfnis, um diejenigen zu werben, die durch die Entscheidung des Papstes irritiert sind, diese in Frage stellen und/oder sich nicht leicht damit tun.“

Nur schwer zu vermitteln

In einem Land, in dem ein politischer Entscheidungsträger wegen vergleichbarer Fehler vermutlich längst nicht mehr im Amt wäre, wird diese Art der christlichen Barmherzigkeit schwer zu vermitteln sein. Die Initiative „Wir sind Kirche“ und andere Beobachter rechnen derweil damit, dass die Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff in Köln ihre Ämter ebenfalls trotz nachgewiesener Pflichtverletzungen wieder aufnehmen können. Und vor allem wird nun eifrig spekuliert, ob die Entscheidung des Papstes für Heße eine Vorentscheidung im Fall Woelki bedeuten könnte. Denn wenn der Papst einen Erzbischof, dem elf Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchstätern nachgewiesen wurden, im Amt belässt, kann er dann einen Kardinal in die Wüste schicken, dem keine derartigen Fehler anhängen?

Andererseits wird daran erinnert, dass die päpstlichen Visitatoren, deren Bericht über die Kölner Verhältnisse jetzt im Fall Heße mit ausschlaggebend war, seinerzeit auch die „komplexe pastorale Situation“ im Erzbistum Köln untersuchen sollten. Im Klartext: Sollten sie zu der Einschätzung gelangt sein, dass dem Kölner Erzbischof sein Kirchenvolk mehrheitlich die Gefolgschaft verweigert, dann könnte auch dies ein Rücktrittsgrund sein – kein kirchenrechtlicher, aber doch ein wichtiger.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)