Der Mainzer Strafrechtsprofessor Jörg Scheinfeld hält mindestens eine strafbare fahrlässige Körperverletzung der Bistumsleitung unter Kardinal Rainer Woelki und Generalvikar Markus Hofmann im Fall des den katholischen Priester und mutmaßlichen Serientäter U. für denkbar.
Der Mainzer Strafrechtsprofessor Jörg Scheinfeld hält mindestens eine strafbare fahrlässige Körperverletzung der Bistumsleitung unter Kardinal Rainer Woelki und Generalvikar Markus Hofmann im Fall des den katholischen Priester und mutmaßlichen Serientäter U. für denkbar. Dies berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger. Den Grund sieht der Jurist in der Tatsache, dass das Erzbistum 2018/2019 keine Maßnahmen ergriff, die U. wirksam an weiteren Delikten gehindert hätten. „Wer als Vorgesetzter weiß, dass er es mit einem möglichen Sexualstraftäter zu tun hat und die Sache laufen lässt, handelt auch nach weltlichem Recht pflichtwidrig“, sagte Scheinfeld der Zeitung. Bei einem Missbrauchstäter im Priesterstand komme hinzu, dass dieser seine Taten oft unter Ausnutzung des mit seinem Beruf verbundenen Vertrauensverhältnisses begehe.
„Wenn er einem Kind als Priester gegenübergetreten ist, fällt die spätere Tat in diese besondere Sphäre – auch wenn der Geistliche offiziell beurlaubt ist“, sagte Scheinfeld. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Dienstherr dann eine Garantenstellung für das Handeln seiner Mitarbeiter („Geschäftsherrenhaftung“). Wie der Prozessverlauf ergab, fällt eine Reihe von Vergehen in die jüngere Vergangenheit. Vorige Woche wurde U. im Gerichtssaal überraschend in Untersuchungshaft genommen. Einige Vorwürfe bezögen sich auf die jüngere Vergangenheit, weshalb Wiederholungsgefahr bestehe, hieß es zur Begründung.
Priester legt Geständnis ab
Der wegen Missbrauchs angeklagte Priester U. aus dem Erzbistum Köln hat mindestens einen Teil der Vorwürfe gegen ihn zugegeben. Der Pfarrer hatte am Montag in nicht öffentlicher Sitzung am Landgericht Köln ein Geständnis abgelegt, sagte der Vorsitzende Richter Christoph Kaufmann am Dienstag während des laufenden Prozesses. Während der Verhandlung am Dienstag wurde offenbar, dass U. die Vorwürfe von mindestens zwei Zeuginnen eingeräumt hatte. Die Mutter einer dieser Zeuginnen berichtete dem Gericht von einem Anruf, den sie vor einigen Wochen vom Verteidiger des Geistlichen, Rüdiger Deckers, erhalten habe. Dieser habe ihrer Tochter geraten, sich einen Anwalt zu nehmen, da sie bei der polizeilichen Vernehmung die Unwahrheit gesagt habe. Sie habe diesen Anruf als Einschüchterung empfunden, so die Mutter. Richter Kaufmann erklärte daraufhin, dass der Angeklagte die Vorwürfe eingeräumt habe. Die mutmaßliche Betroffene war zum Tatzeitpunkt um das Jahr 2010 etwa zehn Jahre alt.
Die Mutter, ihr Mann und ihre Töchter lernten U. etwa 2001 kennen und freundeten sich mit ihm an. Die Familie kommt aus Gummersbach, wo der Geistliche bis 1991 als Kreisjugendseelsorger tätig war. Später wechselte er nach Wuppertal, wo die Töchter nach Aussage der Mutter regelmäßig im Pfarrhaus übernachteten. Schließlich ging U. nach Zülpich, wo er sich ein Haus kaufte. Der Mutter zufolge finanzierte ein weiterer Priester – Michael E. – einen eigenen Wohnbereich im Garten. Der krebskranke E. habe dort seinen Lebensabend verbringen wollen, sei jedoch nie eingezogen. Gegen E. gibt es ebenfalls Missbrauchsvorwürfe.
Am Dienstag sagte zudem der Neusser Kreisdechant Hans-Günther Korr aus, der 1991 U.s Nachfolger als Kreisjugendseelsorger in Gummersbach wurde. Damals habe er vermutet, dass Diözesanjugendseelsorger Rolf Steinhäuser U. als Diözesanpräses für die Katholische Junge Gemeinde (KjG) im Auge gehabt habe. U. war von 1991 bis 1993 geistlicher Begleiter des katholischen Verbands, bevor er Krankenhausseelsorger in Wuppertal wurde. Der Geistliche hatte laut Korr einen “guten Draht” zu Steinhäuser, der heute Weihbischof ist und derzeit das Erzbistum Kölnübergangsweise leitet.
Der ehemalige Pfarrer U. steht seit November vor Gericht, weil er in den 1990er-Jahren seine drei minderjährigen Nichten zum Teil schwer missbraucht und sich 2011 an einem elfjährigen Mädchen vergangen haben soll. In dem Prozess wurde offenbar, dass es mindestens vier weitere mutmaßliche Opfer gibt. Deren nicht verjährte Vorwürfe sollen in den laufenden Prozess eingeführt werden. Die entsprechende Nachtragsklage soll die Staatsanwaltschaft bis zum 8. Februar vorlegen. Am 16. und 17. Februar folgen die Plädoyers, am 24. Februar soll das Urteil verkündet werden.
Weitere Zeugen werde das Gericht nicht mehr vernehmen, erklärte Richter Kaufmann. Er riet dem Angeklagten eindringlich, dem Gericht die Namen von noch unbekannten möglichen Geschädigten zu nennen. U. solle “wenigstens einmal” über seinen Schatten springen und mutmaßlichen Betroffenen helfen, als solche anerkannt zu werden.
Woelkis Dekret enthält kein Kontaktverbot zu Kindern
Per Dekret vom 4. April 2019 hatte Kardinal Woelki U. die öffentliche Ausübung des priesterlichen Dienstes sowie die Abnahme der Beichte untersagt. Messen sind ihm demnach nur in seiner Wohnung erlaubt. Richter Kaufmann sprach im Prozess wiederholt von Hinweisen, dass U. sich über die Auflagen hinweggesetzte. Ein ausdrückliches Verbot des Kontakts zu Kindern und Jugendlichen enthält das Dekret nicht. Ebenso wenig trifft es Vorkehrungen zu einer wirksamen Kontrolle oder für eine therapeutische Begleitung des Geistlichen. Die aber hätten die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz erfordert.
„Den Staatsanwalt möchte ich sehen, der in so einem Fall kein Verdachtsmoment gegeben sieht oder das öffentliche Interesse an einer möglichen Strafverfolgung verneint“, sagte Scheinfeld nun dem Kölner Stadt-Anzeiger. Neben Fahrlässigkeit kommt nach Worten des Juristen weitergehend auch eine vorsätzliche Beihilfe durch Unterlassen in Betracht. „Wer als Dienstherr potentielle Sexualstraftäter nicht von Kindern abschirmt, nimmt weitere Taten vielleicht billigend in Kauf. Bloßes Gottvertrauen, dass schon alles gut gehen wird, schließt dies jedenfalls nicht aus.“ Hier komme es allerdings sehr auf die Umstände an.
Die Anklage zu den Missbrauchsvorwürfen gegen U. aus jüngerer Zeit, die am 8. Februar verlesen werden soll, dürfte Aufschluss geben, ob die Bistumsleitung nicht nur ihre kirchlichen Pflichten verletzt, sondern auch gegen weltliches Recht verstoßen haben könnte. „Schon bei gravierenden Anhaltspunkten müsste die Staatsanwaltschaft von sich aus tätig werden“, sagte Scheinfeld. Die Zeitung zitiert einen Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln, wonach die Behörde zunächst das Ende der Hauptverhandlung gegen U. abwarten und dann prüfen werde, „ob sich Anhaltspunkte für weitere Straftaten ergeben“. Es sei besser, „den Beweisfundus als Ganzes auf dem Tisch zu haben, bevor man ein weiteres Verfahren einleitet“.